MeinungBulgarien:Hauptsache, alles anders

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Kommentar von Cathrin Kahlweit

Lesezeit: 2 Min.

Musiker, Moderator, TV-Star - Slawi Trifonow während eines Wahlkampfkonzerts in Sofia. (Foto: Nikolay Doychinov/AFP)

Der singende TV-Star Slawi Trifonow gewinnt mit seiner Partei die Parlamentswahl in Bulgarien. Ein Regierungsprogramm? Fehlanzeige. Ob das gutgehen kann? Na ja.

Bisher hat Slawi Trifonow alles richtig gemacht. Auf der Bühne präsentiert er sich als Sänger von kitschigem Folk-Pop in Lederjacke und mit Ohrring, in Videos umgibt er sich gern mit vollbusigen Frauen oder niedlichen Kindern. In seiner Talkshow gibt er den Sprücheklopfer. Und in der Politik hat er gerade die langjährige Regierungspartei Gerb und den abgewählten Premier Bojko Borissow geschlagen; Trifonow und seine Partei "Es gibt so ein Volk" sind Wahlsieger bei der zweiten Parlamentswahl in diesem Jahr in Bulgarien geworden.

Ein Erfolgsmodell? Eher ein Hohn. Trifonow, Musiker, Moderator, TV-Star, Neopolitiker, hat kein Programm. Während des Wahlkampfs hat er sich kaum gezeigt, seine Ideen waren bewusst nebulös formuliert. Nun, da er eine Koalition mit anderen Reformkräften bilden könnte, ein Regierungsprogramm vorlegen müsste, kommt er mit unerfüllbaren Bedingungen daher, sodass sich die Frage stellt: Ist der Mann Visionär oder doch eher ein Scharlatan?

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Ein Viertel der Wahlberechtigten in Bulgarien hat - aus Frust über ein überkommenes System und aus Wut über die korrupten etablierten Parteien - ein populäres Gesicht mit einer populären Agenda gewählt: Ja zum Wandel, alles soll anders werden. Nur wie? Die zwei kleinen Oppositionsparteien, die sich gegen Korruption und mafiöse Strukturen stellen, haben zwar auch zugelegt, aber der Entertainer, der viel von Moral und Ehre spricht, hat mehr Stimmen eingeheimst. Trifonow ist damit einer von vielen Comedians und TV-Stars, die in den vergangenen Jahren ihre Bekanntheit für eine politische Karriere genutzt haben. Wolodimir Selenskij in der Ukraine, Beppe Grillo in Italien, Marian Šarec in Slowenien, Jón Gnarr in Island, Jimmy Morales in Guatemala, Donald Trump in den USA, die Liste seriöser und weniger seriöser Kandidaturen lässt sich fortsetzen. Das kann gutgehen, es kann schiefgehen, aber ein Risiko zieht sich durch: Wer im Fernsehen witzig oder provokativ über Politik redet, muss deshalb noch lange nichts von Demokratie und Parlamentarismus verstehen.

Es zeichnet sich bereits ab, dass im Herbst wieder gewählt werden muss

Es ist gut möglich, dass Trifonow die Bulgaren überrascht, doch noch eine Koalition bildet, über ein Regierungsprogramm verhandelt. Auch eine Expertenregierung von Quereinsteigern vorzuschlagen, wie er es gerade getan hat, kann sinnvoll sein - zumal wenn, wie in Bulgarien, viele altgediente Politiker durch Korruptionsvorwürfe kompromittiert sind. Die Übergangsregierung, die seit der letzten Wahl Anfang April die Geschicke des Landes lenkte, weil keine Koalition zustande gekommen war, beweist gerade, dass engagierte Experten einen guten Job machen und die Aufbruchstimmung im Land verstärken können.

Letztlich aber wird auch Bulgarien eine stabile Regierungsmehrheit brauchen, die vom Parlament kontrolliert wird und die großen Aufgaben, vor denen das Land steht, angeht. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass im Herbst ein drittes Mal gewählt wird. Dann bekommen der Popstar und seine Bewegung "Es gibt so ein Volk" vielleicht die Mehrheit, die Trifonow fordert, um allein zu regieren, weil viele Bulgaren ihm glauben, dass Koalitionen Gift sind und alle Politiker käuflich. Zu wünschen wäre dem Land allerdings, dass die ambitionierten Kleinparteien, die sich gegen Korruption und Bandenkriminalität stellen, eine echte Chance bekommen.

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