Aktuelles Lexikon:Bismarck-Zimmer

Ein Raum im Auswärtigen Amt heißt jetzt "Saal der Deutschen Einheit". Denn Bismarck ist umstritten.

Von Joshua Beer

Für die deutsche Außenpolitik ist Otto von Bismarck ein bisschen wie ein entfremdeter Vater, der immer mal wieder auf der Schwelle steht. Per Unterschrift rief der preußische Politiker 1870 das "Auswärtige Amt" ins Leben, das seinen Namen seither nie gewechselt hat. Und nun hat ebendieses einen nach Bismarck benannten Besprechungsraum umbenannt, ja sogar ein Porträt von ihm abgehängt. "Unsagbar traurig" finden das seine Nachfahren und werfen Ministerin Annalena Baerbock "Geschichtsvergessenheit" vor. Ihr Amt hingegen beruft sich auf die "demokratische Geschichte Deutschlands". Tatsächlich tagte in dem Zimmer am Werderschen Markt zu DDR-Zeiten das denkbar undemokratische Politbüro der SED. Das Bismarck-Zimmer gab es zwar auch in Bonn, doch der erste deutsche Reichskanzler hatte in keinem dieser Räume je gesessen. Als Regierungschef und Außenminister des 1871 von ihm geformten Deutschen Reichs baute der Diplomat einen filigranen Frieden in Europa. Nachdem ihn Kaiser Wilhelm II. 1890 entlassen hatte, fiel das Gebilde bald in sich zusammen. Bismarcks Vermächtnis ist heute zwiegespalten. Zwar führte er Sozialreformen wie die Krankenversicherung ein, ließ nebenbei aber Katholiken und Sozialdemokraten rigoros verfolgen. Zudem beschnitt er die Macht des Reichstags und bereitete den Weg für deutsche Kolonien, die er beschönigend "Schutzgebiete" taufte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: