Süddeutsche Zeitung

Gipfeltreffen:Putin kennt jetzt den Preis

Wenn der russische Präsident unbedingt die Ukraine weiter zerstückeln will, kann ihn niemand davon abhalten. Aber nach dem Gespräch mit Joe Biden weiß er nun, was ihn eine Invasion kosten wird.

Kommentar von Hubert Wetzel

Joe Biden kann nicht verhindern, dass Wladimir Putin die Ukraine überfällt. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, Amerika werde Truppen schicken, um das Land im Notfall zu retten. Militärisch ist die Lage ganz einfach: Wenn der russische Präsident zu dem Schluss kommt, er müsse seine Armee unbedingt in das Nachbarland einmarschieren lassen, um Rache für irgendeine eingebildete nationale Schmach zu nehmen oder um Russlands angebliche Einflusssphäre zu verteidigen, dann wird er das tun - und kein GI wird sich ihm in den Weg stellen.

Das Gipfeltreffen, zu dem der US-Präsident sich am Dienstag mit seinem Kollegen in Moskau per Video zusammengeschaltet hat, hatte einen anderen Zweck. Biden hat Putin mitgeteilt, welchen Preis Russland für einen Einmarsch in die Ukraine bezahlen müsste. Vor sieben Jahren, nach dem Raub der Krim, kam Moskau damit davon, dass die Westkonten von ein paar Machtmenschen aus dem Kreml-Dunstkreis eingefroren wurden und Russland in einigen internationalen Gremien nicht mehr mitreden durfte. Das war lächerlich, und Putins aggressives Verhalten seither hat gezeigt, dass derartiger Kleinkram ihn nicht beeindruckt.

Über Putins Charakter und Absichten macht sich Biden keine Illusionen; anders als die alte Bundesregierung, die fröhlich eine Pipeline zusammen mit dem Mann gebaut hat, der Dissidenten einsperrt, Kritiker vergiftet und in aller Seelenruhe einen Nachbarstaat zerstückelt - und damit zugleich die europäische Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges zerstört, deren Kern das Verbot ist, Grenzen mit Gewalt zu verschieben. Washington wird im Falle einer Invasion harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen, die dem Land praktisch alle Geschäfte unmöglich machen, für die auch nur ein einziger Dollar notwendig ist. Die EU wird Russland (hoffentlich) ebenso konsequent vom Zahlungsverkehr mit dem Euro abschneiden.

Wer in Berlin glaubt, Deutschland könne dann die Gaspipeline Nord Stream 2 trotzdem noch in Betrieb nehmen, weil das Bergamt Stralsund sie ja schließlich genehmigt habe, wird sich wundern. In der Praxis wird Russlands ohnehin nicht sehr beeindruckende Wirtschaft durch die Sanktionen des Westens mittelfristig zu einem Anhängsel der chinesischen werden, abgesehen von dem einen oder anderen Tauschgeschäft mit Syrien oder Venezuela. Putin muss entscheiden, ob er das will.

Peking und Teheran werden sich diese Sache genau anschauen

Biden wird auch deswegen harsch gegenüber Putin reagieren, weil er weiß, dass andere Autokraten zuschauen. Amerikas Ruf als entschlossene Weltmacht hat durch die demütigende Flucht aus Afghanistan schwer gelitten. Biden will das korrigieren - er muss es korrigieren, denn wir leben in einer gefährlichen Zeit. Der US-Präsident hat es derzeit gleich mit drei internationalen Krisen zu tun, die im Fall von falschen Entscheidungen alle die Gefahr bergen, dass Amerika in eine militärische Auseinandersetzung gezogen wird: Russlands Kriegstreiberei an der Ostgrenze der Nato, Chinas Aggression gegenüber Taiwan und Irans strammer Marsch in Richtung Atombombe. In zwei dieser Krisen stehen die USA nuklear bewaffneten Staaten gegenüber. Jede Fehlkalkulation, jedes Missverständnis kann furchtbare Folgen haben.

Je klarer Biden jetzt Putin wissen lässt, wo für ihn die roten Linien verlaufen, und je schneller die angedrohten Kosten Russland auch tatsächlich aufgebürdet werden, wenn es diese überschreiten sollte, desto besser. Vielleicht fließt dieses Wissen in Putins Berechnungen dazu ein, ob ein Einmarsch in die Ukraine sich wirklich lohnt. Oder ob es nach 30 Jahren nicht doch an der Zeit wäre aufzuhören, dem untergegangenen Sowjetimperium nachzutrauern. Und vielleicht sehen die Machthaber in Peking und Teheran auch eine Warnung darin, wie Biden sich im Konflikt mit Putin verhält. Dann hätte der Videogipfel die Welt etwas sicherer gemacht.

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