Süddeutsche Zeitung

Bundesfinanzhof:Endlich wieder ein Präsident

Hans-Josef Thesling hat als Chef des Bundesfinanzhofs an diesem Dienstag seinen ersten größeren Auftritt. Viele kennen dieses Gericht nicht. Aber was es entscheidet, betrifft jeden.

Von Stephan Radomsky

Dass es in der Justiz länger dauern kann - der Satz gilt nicht nur für die Streitenden, sondern bisweilen auch für die Richter. Im Juli 2020 war der damalige Präsident des Bundesfinanzhofs (BFH) in den Ruhestand gegangen, fast ein Jahr lang lag die Urkunde, die Hans-Josef Thesling zum Nachfolger machen sollte, unterschrieben im Bundespräsidialamt. Überreicht bekam Thesling sie aber erst Ende Januar, erst da war er tatsächlich Deutschlands oberster Steuerrechtler. An diesem Dienstag nun legt er zum ersten Mal den Jahresbericht des BFH vor - es wird im neuen Amt sein erster größerer Auftritt in der Öffentlichkeit, wenn auch nur virtuell.

Um die Berufung von Thesling, 60, hatte es monatelang Streit gegeben. Kritiker warfen sowohl ihm als auch seiner vorgesehenen Stellvertreterin Anke Morsch vor, dass ihnen die höchstrichterliche Erfahrung fehle und sie nur Proporzkandidaten der früheren großen Koalition seien. Thesling ist CDU-Mitglied, Morsch bei der SPD. Unterlegene Bewerber um die Posten klagten deshalb gegen die Entscheidungen, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof winkte die Ernennung von Thesling schließlich durch, die Personalie Morsch verwarf er dagegen. Darauf angesprochen, sagt Thesling, natürlich habe es "einige Querelen" um seine Personalie gegeben. Die hätten sich aber nicht gegen ihn gerichtet, sondern gegen die Vorgehensweise des Bundesjustizministeriums im Ernennungsverfahren. Das Amt sei nicht politisch, und daran wolle er auch nichts ändern. Er fühle sich in München nun wohl, "in der Stadt wie am Gericht".

Demnächst entscheidet das Gericht über den Soli

Für den neuen Posten ist Thesling aus der Verwaltung in die Justiz gewechselt - nicht zum ersten Mal: Zuletzt hatte er gut drei Jahre lang als Leiter der Rechts- und Personalabteilung im nordrhein-westfälischen Justizministerium gearbeitet, davor war er zwei Jahre lang Präsident des Finanzgerichts Düsseldorf, davor wiederum leitete er eine Abteilung in der Düsseldorfer Landtagsverwaltung. Am BFH hat er auch den Vorsitz des neunten Senats übernommen, der unter anderem für Vermietungen und Verpachtungen zuständig ist.

Das Gericht kommt immer dann ins Spiel, wenn sich Staat und Bürger grundsätzlich ums Geld streiten: Der BFH ist die höchste Instanz in allen Fragen des Steuerrechts. Vor knapp einem Jahr beispielsweise hatten die Richter das deutsche System zur Rentenbesteuerung umgekrempelt. Sie rechneten vor, dass viele künftige Rentner voraussichtlich doppelt zahlen müssen, einmal auf ihre Beiträge und später noch einmal auf die Rentenzahlungen. Das aber wäre verfassungswidrig - vom kommendem Jahr an soll deshalb nun eine Neuregelung greifen. Voraussichtlich noch dieses Jahr will der BFH nun entscheiden, ob die nur teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags grundgesetzkonform ist.

Die Urteile sind für Thesling aber höchstens ein Teil des Jobs. Dass ein Richter ausschließlich durch seine Urteile spreche, sei aus der Zeit gefallen. "Ich glaube, es gibt da eine gute Mischung: neutral sein in tagespolitischen Fragen, aber grundsätzliche Fehlentwicklungen klar ansprechen." Und BFH-Präsident, das sei "deutlich mehr Verwaltung als Steuerrecht". Die eigentliche Arbeit wartet abseits des Sitzungssaals. So soll der Gerichtshof, wie alle anderen Gerichte auch, digitaler werden und mit der elektronischen Akte arbeiten. Zudem müssen in absehbarer Zeit Vorsitzende für drei Senate berufen werden. Das ist zwar Sache des Bundesjustizministeriums, Thesling dürfte aber mit Minister Marco Buschmann (FDP) zumindest darüber reden. Und mittelfristig soll das hundert Jahre alte Schloss im Stadtteil Bogenhausen erweitert werden, um einen Anbau im Park. Seit 1921 residierte in dem denkmalgeschützten Bau erst der Reichsfinanzhof, seit 1950 der BFH.

Ob er den Anbau noch als Präsident einweihen werde, da habe er aber Zweifel, sagt Thesling. Nicht nur bei der Justiz dauern die Dinge eben, sondern auch am Bau.

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