Enteignungen sind das Schreckgespenst unserer Wirtschaftsordnung. Sie wirken wie Willkür statt Recht. Als Kevin Kühnert noch als Juso-Chef darüber nachdachte, BMW zu verstaatlichen, war die Empörung groß: "Kollektivierung" und "DDR" lauteten die Vorwürfe. Dennoch ist es richtig, dass in Berlin nun eine Kommission den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ernsthaft prüft. Unternehmen, denen in der Hauptstadt mehr als 3000 Wohnungen gehören, sollen demnach gegen Entschädigung vergesellschaftet werden.
Solch revolutionäre Stimmungen entstehen ja nicht ohne Grund. In Berlin lässt sich gut studieren, was geschieht, wenn sich der Immobilienmarkt frei entfalten darf: Die Mieten sind zuletzt so rasch gestiegen wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Verkäufer, Polizisten, aber auch Lehrer können es sich mit ihren Gehältern kaum mehr leisten, eine Wohnung innerhalb des S-Bahn-Rings anzumieten. Obwohl die Liste der Versuche lang ist - vom Mietendeckel bis zum Vorkaufsrecht -, findet die Politik kein Mittel gegen diese Exzesse. So sind die fast 60 Prozent der Berliner Wähler, die für den Volksentscheid gestimmt haben, sicherlich nicht allesamt Sozialisten. Sie wollen nur nicht weiter ohnmächtig zusehen, wie einige wenige an etwas verdienen, was das elementare Recht aller sein sollte: das auf bezahlbares Wohnen.
Diesen Missstand zu lösen ist ureigene Aufgabe von Politik. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat sie deshalb zur "Chefinnensache" gemacht. Bis 2030 will sie 200 000 neue Wohnungen bauen lassen; private und städtische Wohnungswirtschaft, Mietervereine und Genossenschaften sollen weitere Wege finden, um die Mietsteigerungen zu bremsen. Doch bis der Senat sichtbare Ergebnisse vorweisen kann, muss er die Möglichkeit einer Vergesellschaftung ernsthaft prüfen. Denn in Deutschland wird sehr wohl enteignet, wenn es dem so genannten Allgemeinwohl dient. Beim Bau von Autobahnen zum Beispiel.