Berlin:Metropole auf Bullerbü-Kur

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Sie oder sie? Franziska Giffey (SPD, links) und Bettina Jarasch während des Wahlkampfes. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Ex-Familienministerin Franziska Giffey und die Grüne Bettina Jarasch wetteifern um den Sieg - und lassen ganz unterschiedliche Vorstellungen von einer künftigen Koalition erkennen.

Kommentar von Jan Heidtmann

In Berlin wird in knapp drei Wochen das Abgeordnetenhaus gewählt, und der Wahlkampf hat alle Anlagen, spannend zu sein: Erstmals konkurrieren zwei Frauen um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, und eine davon heißt immerhin Franziska Giffey. Wer auch immer die Wahl gewinnt, muss unter anderem zeigen, wie die deutsche Hauptstadt mit dem Klimawandel umgehen will. Und es geht darum, dem Abenteuerspielplatz Berlin, zu dem die Stadt nach fünf Jahren rot-rot-grüner Regierung auch geworden ist, wieder eine pragmatische Vision zu geben.

All das ist Stoff, aus dem auch inhaltlich ein interessanter Wahlkampf werden könnte. Doch den will offenbar keine Partei den Leuten zumuten. Sie sprechen mit den Berlinern lieber im Diminutiv: "Herzenssache Berlin" heißt das bei Giffey, "mehr Bullerbü" bei Bettina Jarasch, der Spitzenkandidatin der Grünen. Von Erwartungen oder gar Verboten ist keinerlei Rede, Veränderungen werden mit dem Weichzeichner skizziert. Das ist oft in Wahlkämpfen so, ja, aber 2021 hat wegen des Klimawandels etwas Schicksalhaftes. Debatten darüber wären gut.

Stattdessen erklären die Spitzenkandidaten von CDU, Kai Wegner, und FDP, Sebastian Czaja, das eigene Auto für unantastbar. Linke und Grüne wollen es durch zusätzlichen öffentlichen Nahverkehr so weit als möglich überflüssig machen.

"Keine Experimente" hieß 1957 der Slogan der CDU im Bundestagswahlkampf. "Keine Experimente" könnte heute die Überschrift zum gesamten Berlin-Wahlkampf lauten. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass es zwar keine Wechselstimmung in der Stadt gibt. Dennoch sind viele Bewohner von der "Versuch und Irrtum"-Politik des Senats aus SPD, Linken und Grünen genervt. Die Koalition hatte sich 2016 viel vorgenommen und, gemessen daran, recht wenig erreicht: Die Verkehrswende steckt fest, die Mieten steigen weiterhin.

Künftig Grün-Rot-Rot oder Rot-Schwarz-Gelb?

Franziska Giffey bedient diese Enttäuschung offenbar am besten. Nachdem sie monatelang bei 15 Prozent der Stimmen feststeckte, führt die SPD die Umfragen nun seit zwei Wochen an. Giffey hat die eigentlich linke Berliner SPD auf einen konservativen Kurs gebracht. Innere Sicherheit und eine Verkehrspolitik mit Autobahn- und teurem U-Bahnausbau gehören dazu. Die Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen wird mit ihr nicht zu machen sein, das hat sie bereits erklärt. Sollte die SPD gewinnen, erscheint eine Neuauflage der Linkskoalition so kaum mehr möglich. Gemessen an Giffeys Vorstellungen in der Wirtschafts- und Verkehrspolitik erscheint eher ein Bündnis mit CDU und FDP denkbar.

Bettina Jarasch, die Spitzenkandidatin der Grünen, will dagegen an der Koalition mit SPD und Linken festhalten. Zumindest mit Giffey an der Spitze könnte das schwierig werden, nehmen die Grünen doch als einzige Partei den Klimawandel tatsächlich ernst. Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kann sehr plausibel für den Umbau der Stadt argumentieren, doch die weitgehend unbekannte Kandidatin wurde vor allem aus einem Grund gekürt: da sie motiviert, aber nicht polarisiert. In den Wahlkampferzählungen der Grünen sieht Berlin 2025 deshalb häufig eher aus wie ein schwedisches Märchendorf als wie eine der größten Metropolen Europas.

So wirkt dieser Wahlkampf merkwürdig entrückt - von dem Wandel, der kaum mehr abzuwenden ist; und bei den Grünen von den Konflikten, die damit untrennbar verbunden sind.

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