Süddeutsche Zeitung

Berlin:Die Endkampf-Fantasien radikaler Linker

Das Projekt "Rigaer 94" hat nichts mehr mit dem oft erfolgreichen Widerstand der Hausbesetzer in Berlin zu tun. Nur mal so eine Frage: Was wäre los, wenn es sich dabei um ein Projekt Rechtsextremer in Dortmund oder Dresden handelte?

Kommentar von Jan Heidtmann

60 verletzte Polizisten, zwei davon schwer - das ist nur ein Teil der bisherigen Bilanz eines Polizeieinsatzes, der an diesem Donnerstag in dem in Teilen besetzten Haus Rigaer Straße 94 endete. Mit dazuzählen muss man mit ziemlicher Sicherheit noch mehrere Autos, die kürzlich in Berlin brannten, und einen Hinterhalt, in den Polizei und Feuerwehr gelockt worden waren. Dort wurden die Beamten mit Steinen und Flaschen beworfen. Dies gehört, so zynisch es ist, für viele zur Folklore dieser Stadt.

Das Haus in der Rigaer Straße 94 ist nicht nur in Berlin eines der wichtigsten Symbole der linksradikalen Szene. Es hat eine lange und auch bedeutende Geschichte für die Stadtkultur. Doch spätestens jetzt ist diese Geschichte an einem toten Punkt angekommen. Von der Idee, die die Rigaer Straße einmal war, ist nur noch ein irrlichternder, gewalttätiger Widerstand gegen das so bezeichnete "Scheißsystem" geblieben.

Es gibt ihn, den konstruktiven Widerstand. Nur nicht in der Rigaer Straße

Bei ihren Aktionen legitimieren sich die Besetzer und Sympathisanten der Rigaer Straße 94 mit dem oft inspirierenden und auch erfolgreichen Widerstand der Hausbesetzer in Berlin. Im Westen der Stadt trotzten diese dem Senat bereits in den Siebzigerjahren Wohnraum ab, mit dem Immobilienbesitzer sonst spekuliert hätten. Mit dem Mauerfall bekam die Bewegung weiteren Schub aus dem Ostteil.

Heute haben viele der ehemaligen Besetzer Mietverträge, zahlreiche Häuser sind in Genossenschaften umgewandelt worden und viele Berliner leisten weiter Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt. Zum Beispiel mit dem bisher ziemlich erfolgreichen Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen".

Von solcher Art konstruktivem Widerstand haben sich die Bewohner der Rigaer Straße 94 längst verabschiedet. Seit Wochen wird die einfache Begehung eines Brandschutzexperten des Hauseigentümers von ihnen zum "Tag X" hochstilisiert. Zu dem Moment, in dem das Haus von der Polizei gestürmt werden soll. Es sind die sich selbst nährenden Endkampf-Fantasien eines hermetisch abgeschotteten Zirkels der radikalen Linken. "Wir werden euch nicht ruhig schlafen lassen", kündigen die Besetzer während des Polizeieinsatzes drohend per Lautsprecher an.

Der Berliner Koalition macht keine gute Figur. Vor allem die Grünen

Der derzeit regierende Senat aus SPD, Linken und Grünen ist nicht die erste Berliner Landesregierung, die an einer friedlichen Lösung für das Projekt "Rigaer 94" gescheitert ist. Das Haus beschäftigt die Politik seit seiner Besetzung im Jahr 1990, zuletzt auch einen Innensenator der CDU. Aber das Taktieren und die Manöver vor allem grüner Politiker in den vergangenen Monaten haben den extremen Linken regelmäßig suggeriert, dass sie auch von den Regierenden Unterstützung bekommen. Das ist ein verhängnisvolles Signal.

Dazu ein Gedankenspiel: Was wäre in der Republik los, wenn die Rigaer Straße 94 ein Projekt Rechtsextremer in Dortmund oder Dresden wäre? Diesen (in der Tat schwierigen) Vergleich müssen sich die Bewohner, die Sympathisanten, aber auch der Berliner Senat inzwischen gefallen lassen. Leider.

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