Die ohnehin schon sehr lange Serie "Pleiten, Pech und Pannen in Berlin" bekam am Wahlsonntag noch einmal eine ganz neue Staffel. Da liefen im Stundentakt Meldungen ein, was in der Hauptstadt alles schieflief. Wahlzettel fehlten oder waren falsch sortiert, Kuriere, die neue bringen sollten, blieben im Verkehr stecken, weil gleichzeitig der Berlin-Marathon stattfand. Die Schlangen vor den Wahllokalen waren mancherorts so lang, dass noch gewählt wurde, als schon die "Tagesschau" mit den ersten Hochrechnungen lief.
Und es wurde auf fast schon komödiantische Weise improvisiert: Wahlvorstände zogen von Wahllokal zu Wahllokal, um Zettel zu schnorren, andere legten die Wahlzettel kurzerhand auf den Kopierer. Ein Wahlhelfer soll in die Schlange der Wartenden gefragt haben, ob man vielleicht auf die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, die gleichzeitig mit der Bundestagswahl abgehalten wurde, verzichten wolle, die Zettel dafür seien gerade aus.
Die Bundestagswahl hätte wegen des Marathons verschoben werden müssen - wie bitte?
Noch berlinischer waren da nur die Versuche der Verantwortlichen, sich gegenseitig die Schuld an dem Chaos zuzuschieben. In der Hauptrolle: die Landeswahlleiterin. Sie konnte sich erst nicht erklären, wie es zu alledem gekommen sei, machte dann die Bezirke dafür verantwortlich und legte erst nach langem Hin und Her äußerst widerwillig ihr Amt nieder. Aber auch die Nebenrollen hatten starke Auftritte: Da sagte etwa der Chef der Berliner Senatskanzlei, die Bundesregierung hätte ja die Bundestagswahl auf einen anderen Tag als den Berlin-Marathon legen können, denn der sei "Teil eines internationalen Sportkalenders und kann nicht beliebig hin- und hergeschoben werden".
Und das war noch längst nicht das Staffelfinale: Inzwischen gibt es die ersten Vermutungen, dass das Wahlergebnis möglicherweise anders ausgesehen hätte, wenn alles weniger chaotisch gelaufen wäre. In rund hundert Berliner Wahlbezirken gab es auffällig viele ungültige Stimmen. Der Spitzenkandidat der Linken, Klaus Lederer, wiederum fordert eine Nachzählung der Stimmen, weil er sein Direktmandat zum Berliner Abgeordnetenhaus um nur 30 Stimmen verpasste. Am Donnerstag wurde nun bekannt, dass ein Berliner Bezirk für mehrere Wahllokale fiktive Ergebnisse gemeldet hatte. Der Bezirkswahlleiter räumte daraufhin ein, dass diese vorläufigen Zahlen "Schätzungen" waren, die richtigen würden "nacherfasst".
Dit is Berlin, aber das ist dann auch der Punkt, an dem das alles nicht mehr lustig ist. Denn die neueste Berliner Pannenserie fällt in eine Zeit, in der die demokratischen Institutionen von allen Seiten unter Druck geraten. In der durch die Verbreitung von Fake News immer wieder versucht wird, den rechtmäßigen Ausgang von Wahlen anzuzweifeln. Es wird nicht lange dauern, bis die Ersten behaupten, die Wahl sei gestohlen worden.
Das Debakel muss gründlich aufgearbeitet werden
Der Berliner Senat muss das Debakel nun gründlich und transparent aufarbeiten. Die Wahlberechtigten müssen erfahren, was genau passiert ist, und es muss überall dort, wo es Zweifel an den Abläufen gibt, nachgeprüft und nachgezählt werden. Für einige Experten spricht vieles dafür, die Wahl anzufechten, darüber entscheidet am Ende der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin. Vor allem aber muss sich die Berliner Politik endlich bewusst werden, welche Verantwortung auf einer Hauptstadt liegt. Denn eine chaotisch durchgeführte und vielleicht nicht korrekte Wahl ist etwas anderes als ein verplanter Flughafen: Sie trifft nicht nur die Steuerzahler, sondern das Herz der Demokratie.