Belarus:Diktatoren verstehen nur eine Sprache

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Kanzlerin Angela Merkel hat schon öfter mit Alexander Lukaschenko gesprochen. Im Februar 2015 etwa reiste sie mit dem französischen Präsidenten François Hollande zu Friedensgesprächen für die Ostukraine nach Minsk.

(Foto: Maxim Malinovsky/AFP)

Darf Angela Merkel mit Alexander Lukaschenko telefonieren? Selbstverständlich, aber ein paar Regeln gilt es dabei zu beachten.

Kommentar von Stefan Kornelius

Autokratien und Demokratien unterscheiden sich unter anderem darin, wie schnell und konsequent sie entscheiden können. Alexander Lukaschenko kann seine Menschenopfer nach Belieben in Busse packen, unter Waffengewalt von einem Grenzübergang zum nächsten chauffieren oder mit Kettensägen ausstatten - alles kein Problem für Europas Langzeitdiktator. Die EU hingegen muss aufwendig prüfen, ob ihr Sanktionsregime gerichtsfest ist, sie muss in langen Gesprächen Fluglinien und Herkunftsstaaten die Nachteile ihrer Spanndienste einbläuen und Konsens zwischen 27 Regierungen herstellen.

Umso wichtiger ist es, dass nun Einmütigkeit herrscht in der Antwort auf die Provokation an der belarussischen Grenze. Nur so erfahren auch die fluchtwilligen Menschen, wie belastbar die gesäuselten Versprechen der Schleuser sind. An der Grenze wird damit zunächst ein Willenstest aufgebaut: Entweder gibt Polen nach und lässt die Menschen in die EU (und mutmaßlich nach Deutschland), oder Lukaschenko zwingt die Flüchtlinge zur Rückreise.

Konflikte wie diese lassen sich nicht durch Bockigkeit lösen

Derartige Konflikte auf Kosten Tausender Menschen werden am Ende aber nicht durch Bockigkeit gelöst, sondern indem man spricht. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Das nordkoreanische Provokationsregime oder die iranischen Nuklear-Möchtegerns betreiben Erpressung in Perfektion. Darf man ihr nachgeben? Angela Merkels Telefonat mit Lukaschenko wird vom Regime nun als großer Triumph gefeiert - ein Ausbruch aus der Isolation, eine Anerkennung der illegitimen Präsidentschaft. Das ist natürlich Einbildung.

Der "Herr Lukaschenko", wie der Machthaber in der Mitteilung der Bundesregierung bewusst genannt wird, erfährt keine Anerkennung. Genauso wenig wurde in den Gesprächen Merkels oder Joe Bidens mit Wladimir Putin die Annektierung der Krim gebilligt oder die Verurteilung Alexej Nawalnys. Iran wurde zu einem bindenden völkerrechtlichen Atomabkommen gebracht. Und der Patron erratischer Politik, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, hat sich selbst heillos in seinen Widersprüchen verstrickt.

Wo enden Verhandlungen, wo beginnt Erpressung?

Merkel wird mit ihrem Telefonat die humanitäre Zwangssituation lösen wollen, ohne der Erpressung nachzugeben und europäische Prinzipien zu verletzen. Das ist eine heikle Aufgabe voller Widersprüche, bei der es eigentlich keine saubere Lösung geben kann. An der polnischen Grenze kollidieren sehr viele dieser Prinzipien, die in der Theorie (und von der Opposition) gerne hochgehalten werden: Nein, man darf sich nicht erpressen lassen - und genauso wenig darf man Asylbewerber ohne Prüfung zurückweisen oder gar unter Zwang über die Grenze abschieben (Pushback).

Wer diesen scheinbar unauflösbaren Widerspruch auflösen will, der muss mit dem Erpresser in aller Härte reden und zumindest die Notlage auflösen, ohne ein Präzedens zu schaffen. Eine Möglichkeit könnte sein, die Migranten an der Grenze zu registrieren, sie zurückzusenden und dann ihre legale Einreisemöglichkeit zu prüfen. Lukaschenko wird dafür einen Preis verlangen - etwa den Verzicht auf weitere Sanktionen.

Wichtig ist, die Erpressung nicht zum System werden zu lassen. Das ist leichter gesagt als getan, weil die Lukaschenkos dieser Welt die Schwächen der demokratischen Systeme kennen. Eine dauerhafte Belagerung der polnischen Grenze würde der EU aber stärker zusetzen als eine Verhandlungslösung mit nicht anerkannten Präsidenten.

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