Süddeutsche Zeitung

Grüne:Selbst schuld

Annalena Baerbock hat den Wahlkampfauftakt gründlich verpatzt. Aufgehübschte Lebensläufe? Das geht gar nicht. Die Kanzlerkandidatin muss jetzt auf dem Parteitag ein Zeichen der Demut aussenden, aber vor allem der Kraft.

Kommentar von Constanze von Bullion

Wie bei Gladiatorenspielen im antiken Rom darf auch im deutschen Wahlkampf gern mal Blut fließen, bildlich gesprochen. Der Anblick der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock jedenfalls, die jetzt verwundet durch die politische Arena hetzt, lässt beim Publikum offenbar nicht nur den Blutdruck steigen, sondern macht manchem auf den Rängen auch Lust auf mehr. Baerbock soll aufgeben nach einer Reihe von Fehlern und die Kanzlerkandidatur an Robert Habeck weitergeben, fordern jetzt die Ersten. Dabei wäre Kapitulation der größte Fehler, den die Grünen jetzt begehen können.

Sollte Baerbock ihre Kandidatur aufgeben? Auf keinen Fall

Richtig ist: Baerbock hat sich den Schlamassel selbst eingebrockt und ihrer Partei einen vielversprechenden Start in den Bundestagswahlkampf verpatzt. Das Aufhübschen von Lebensläufen mag üblich sein unter ehrgeizigen Menschen. Aber wer sich als Politikerin ohne Regierungserfahrung zutraut, nach der Kanzlerschaft zu greifen, und wer den Hass all derer kennt, die einen Generationswechsel in der Politik fürchten müssen, darf genau das nicht tun, was Baerbock getan hat: In allerlei ungenauen Angaben über ihre Biografie zu erkennen geben, dass sie gern mehr wäre als sie ist - mit anderen Worten eine Gernegroß.

Schwerer noch wiegt für Baerbock, dass ihr größtes Kapital, die persönliche Integrität, Schaden genommen hat. Denn Schummeln, auch bei Kleinkram, passt so gar nicht in die grüne Erzählung vom neuen, aufrichtigen Politikstil der Partei. Ob sich das verlorene Vertrauen zurückgewinnen lässt, werden die kommenden Monate zeigen. Als sicher aber darf gelten, dass ein Rückzug Baerbocks aus der Wahlkampf-Arena nicht honoriert, sondern nur von Triumphgeheul politischer Mitbewerber begleitet werden würde. Dann hätten die Grünen die Bundestagswahl verloren.

Es liegt nun an Annalena Baerbock, ob die Grünen wieder in die Offensive kommen. Die Kanzlerkandidatin täte gut daran, sich beim Parteitag in einer großen Geste bei ihren Leuten zu entschuldigen. In den Staub zu werfen aber braucht sie sich nicht. Was jetzt gefragt ist bei den Grünen, ist ein überzeugendes Signal der Demut, aber gleichzeitig auch eines der Kraft. Die Partei wird sie brauchen, um mit ihren ohnehin unbequemen Botschaften bei den Wählerinnen und Wählern Gehör zu finden. Und durch den Rest? Müssen die Grünen jetzt durch. Selbstmitleid jedenfalls ist fehl am Platz.

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