Kabinett:Eine Grüne, die Technik mag

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Anna Christmann, 38, seit 2017 im Bundestag. (Foto: Christoph Hardt via www.imago-images.de/imago images/Future Image)

Anna Christmann, die neue Koordinatorin der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt: Wozu das All ihrer Meinung nach gut ist - und wozu nicht.

Von Constanze von Bullion

Es gab Zeiten, da wäre eine wie Anna Christmann bei den Grünen mit Acht und Bann belegt worden, mindestens. Die 38-jährige Bundestagsabgeordnete aus Stuttgart ist jetzt Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt. Eine Aufgabe ist das, die in ihrer Partei früher für außerordentliches Missvergnügen gesorgt hätte. Weltraumforschung oder Begeisterung für Triebwerke gar, das war für Generationen von Grünen nichts als Geldverschwendung oder wurde mit Ronald Reagans "Krieg der Sterne", dem Raketenabwehrprogramm SDI assoziiert.

Mit der Militarisierung des Weltraums allerdings hat eher wenig zu tun, was der grünen Reala Anna Christmann so vorschwebt. Auch Raketentourismus ins All wie von Amazon-Milliardär Jeff Bezos ist nicht nach ihrem Geschmack. "Viele Leute denken bei Weltraum an die astronautische Raumfahrt. Es geht aber ganz stark um die Erdbeobachtung und das Sammeln von Daten", sagt sie. "Das ist von großem Interesse für den Klimaschutz und hat einen ganz praktischen Nutzen für unser Leben."

Sie hat auch mal Mathe studiert

Die Raumfahrtbeauftragte, die an Robert Habecks Wirtschaftsministerium angebunden ist, hat in Heidelberg Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Mathematik studiert und in der Schweiz ihre Doktorarbeit über die Grenzen direkter Demokratie geschrieben. Raketenwissenschaftlerin ist sie nicht, aber eine, die in der Forschungsszene daheim ist. Von 2013 an hat sie im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium an einer Digitalstrategie mitgearbeitet. Seit 2017 sitzt sie im Bundestag, in der vergangenen Wahlperiode als grüne Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik und Obfrau in der Enquete-Kommission für künstliche Intelligenz.

Christmann gehört zu einer Grünen-Generation, die sich sperrt gegen die Technologiefeindlichkeit älterer grüner Semester oder Debatten, die Natur und Fortschritt als Gegensätze begreifen. "Es geht auch darum, sich zu wappnen für Herausforderungen, die wir heute noch nicht kennen", sagt sie über die Weltraumforschung, an der sie, ähnlich wie an der Mathematik, der Umgang mit dem Unbekannten fasziniert.

Was Zahlen und das All gemeinsam haben

Die Neigung zu Zahlenwerk hat Christmann wohl aus ihrem Elternhaus. Der Vater hat es vom Berufsschullehrer zum Verleger und zu einem IT-Unternehmen gebracht, das er zusammen mit der Mutter führt. "Unternehmerischer Spirit", so nennt Anna Christmann die Haltung ihrer Eltern, die das Aufmucken gegen katholische Autoritären einst zu den Grünen geführt hatte. Sie selbst ist eher keine Aufrührerin, hat erst mal Mathe studiert, sich dann aber für die Politik entschieden.

Wer sich mit Anna Christmann über ihre neue Aufgabe unterhält, hört Geschichten von der Unendlichkeit des Zahlenraums und des Weltalls. Mit Hilfe klarer mathematischer Regeln Phänomene zu erfassen, die der Mensch eigentlich gar nicht erfassen könne, "einerseits eindeutig, andererseits kaum zu begreifen", das seien auch Reisen in die Grenzzonen des menschlichen Verstandes, sagt sie. Eine Lehre daraus: die menschliche Beschränktheit zu erkennen und "dass man weiß, dass man nichts weiß".

Anna Christmann will jetzt zum Kommunikationskanal werden zwischen Industrie, Forschung und der wachsenden grünen Raumfahrtcommunity. Denn bei aller Affinität für Technologie: Jeder Flugzeug- und Raketenantrieb beschädigt die Ozonschicht, selbst wenn er statt mit fossilen Brennstoffen mit Wasserstoff befeuert wird. Ein Ziel sei Nachhaltigkeit, sagt sie. "Da geht es um Antriebsarten, aber auch um Wiederverwendbarkeit, die ja auch aus Kostengründen im Fokus vieler aktueller Entwicklungen steht." Aber auch Weltraumschrott soll baldmöglichst verräumt, die erste deutsche Astronautin ins All geschickt und Neugier geweckt werden: "Wenn ich die Begeisterung in der Gesellschaft für Raumfahrt und Innovation vorantreiben kann, ist schon ein erstes Ziel erreicht."

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