Angriff aufs Kapitol:Trumps Bann ist gebrochen

Angriff aufs Kapitol: Blick des Tyrannen: Trump-Anhänger schauen auf Videoleinwände, auf denen der Noch-Präsident zu sehen ist.

Blick des Tyrannen: Trump-Anhänger schauen auf Videoleinwände, auf denen der Noch-Präsident zu sehen ist.

(Foto: AP)

Die amerikanische Demokratie steht vor einem Neubeginn. Der Sturm auf den Kongress bietet dabei auch eine Chance: Nie war es so einfach, sich von Donald Trump loszusagen und seiner Fantasiewelt zu entkommen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Vier Jahre lang bewegten sich die Amerikaner in parallelen Welten. Donald Trump konnte nur deshalb so erfolgreich sein, weil er seinen Anhängern mithilfe von Konspiration und Unwahrheit eine neue Wirklichkeit nahebrachte. Mit der scharfen Klinge der Lüge zog er eine neuartige politische Wasserscheide.

Nachdem hinreichend viele Wähler bereit waren, in diese Welt hinüberzusiedeln, folgten nach und nach die Mehrzahl der Abgeordneten und das Establishment der Republikaner. Ihr Motiv: Machterhalt. Die Polarisierung der USA war perfekt - ein Staat, zwei Systeme.

Offenbar mussten Tränengasschwaden aus dem Kapitol aufsteigen, um das Land aus diesem Albtraum zu wecken. Offenbar musste die Demokratie im tatsächlichen Sinn angegriffen und verletzt werden, um das Ausmaß der Entrücktheit dieses Präsidenten kenntlich zu machen. Bis zum 6. Januar hat Donald Trump die USA in einen Bann gezwungen. Der ist nun gebrochen. Die Präsidentschaft ist an ihrem Ende angekommen.

Der Mob und das Monster

Der bräsige Mob im Kongress und das Monster im Weißen Haus haben Amerika überraschenderweise eine Chance eröffnet: Nie war es so leicht in den vergangenen vier Jahren, zwischen richtig und falsch zu entscheiden. Nie war es so einfach, sich von Donald Trump loszusagen und seiner Fantasiewelt zu entkommen. Nie war es so simpel, sich zur Demokratie zu bekennen.

Diese Demokratie braucht ein Symbol der Wiederauferstehung. Die USA müssen die Zäsur spüren, die das Ende der halbfaschistischen und definitiv mafiösen Trump-Ära bedeutet. Die Verbrecher in Fellmützen und ihr Einpeitscher ein paar Häuserblocks weiter dürfen nie wieder das Gefühl haben, dass dieser Staat nach ihnen ruft. Ihre vulgäre Anmaßung, die Stilisierung als keulenschwingende Retter der Demokratie mit Fahrradhelm und selbstgebastelten Feldabzeichen - sie gehören nach dieser Nacht in die Asservatenkammer des Mad-Max-Genres. Der Anführer der Waldschrate hat seine Truppe ins Unterholz geführt.

Joe Biden tritt ein unermesslich schweres Erbe an, aber gleichzeitig bieten sich ihm nun eine ganze Reihe von Hebeln, die das Regieren in explosiven Zeiten erleichtern. Das wichtigste Ereignis des 6. Januars war nämlich nicht der Sturm auf das US-Parlament. Der war nach wenigen Stunden vorüber, auch wenn der Schock lange nachwirken wird. Eine größere Wirkung auf die USA wird die Machtverschiebung entfalten, die mit der Senatswahl in Georgia an diesem Tag abgeschlossen wurde.

Die neue, wenn auch hauchdünne Mehrheit der Demokraten im Senat gibt dem nächsten Präsidenten für zwei Jahre eine Gestaltungsmehrheit, die er als erfahrener Parlamentarier wird nutzen können. Eine Mehrheit in Legislative und Exekutive für einen amtierenden Präsidenten ist in der Regel ein flüchtiger Luxus. Trump und Obama wurde er nur zwei Jahre zuteil. Joe Biden muss jede Minute dieser Zeit nutzen - aber nicht unbedingt für ambitionierte Gesetzesverfahren und radikale Schwenks etwa in der Steuerpolitik.

Churchills alter Grundsatz: im Sieg - Großmut

Besser wäre es, wenn Biden nach dem alten Churchill-Grundsatz handelt: im Sieg - Großmut. Die überwältigende Mehrheit der republikanischen Abgeordneten wurde in der Nacht der Schande zu politischen Waisen. Trump bietet keinen Halt mehr, Mehrheitsführer McConnell wurde zum Minderheitenchef, die Schiffbrüchigen paddeln verzweifelt in der See und suchen nach Treibgut, um sich festzuklammern.

Hier liegt Bidens Chance. Er kann nicht nur, er muss durch Gesten der Einbindung einen neuen politischen Konsens schaffen. Er muss dem Land demonstrieren, dass die politische Klasse im Auftrag der Bürger handelt. Er muss den Wert politischer Vernunft und den Wert des Kompromisses vor sich hertragen wie eine Monstranz. Er muss Washington entgiften, indem er seine neue Macht gerade nicht bis zum letzten Quäntchen nutzt und auf Rache verzichtet. Das schließt keine strafrechtliche Härte, etwa gegen Trump, aus. Aber es zwingt in Stil und Ton zur Mäßigung.

Der Furor der Trump-Jahre hätte Amerika beinahe die Demokratie gekostet. Es kann deswegen keine wichtigere Aufgabe geben für Biden, als dem Land sein politisches Selbstverständnis zurückzugeben. Dies wird nur gelingen, wenn er die Werte der Demokratie vorlebt, wenn er dem Land eine Kur aus Bildung und Investition unter wohlwollender staatlicher Aufsicht verschreibt. Die USA brauchen einen Marshallplan für ihr System, sie brauchen einen starken Staat, der sich nicht kidnappen lässt von einem psychotischen Immobilienhändler und verführen lässt von den Traumgespinsten eines Populisten. Die Zeiten sind nämlich vorbei.

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