Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Piñata

Sie ist der Kracher auf vielen Kindergeburtstagen, um ihr Schicksal aber kaum zu beneiden.

Von Nadja Lissok

Sie ist quietschbunt und liebevoll gestaltet, traditionell gefüllt mit Bonbons, Früchten und Erdnüssen. Bei der Form sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, es gibt die Piñata etwa als Einhorn oder Regenbogen. Wer jemals auf einem mexikanischen Kindergeburtstag gesehen hat, wie sie eingesetzt wird, weiß, dass die Piñata wenig zu beneiden ist um ihr Schicksal. Um an ihr süßes Inneres zu gelangen, schlagen die Kinder mit verbundenen Augen auf die an einem Seil hängende Pappmaschee-Figur ein, was von den Umstehenden lautstark bejubelt wird. Ursprünglich soll die Figur aus der chinesischen Kultur stammen und war dort mit Saatgut befüllt. Der Entdecker Marco Polo brachte das Ritual von seinen Reisen mit nach Italien, von dort gelangte es über Spanien nach Mittelamerika. Damals war die Figur noch aus Ton, der Name stammt vom italienischen Wort "pignatta", Kochtopf. Bis die heutige Pappmaschee-Variante platzt und es Süßigkeiten regnet, braucht es meist viele harte und klatschende Treffer. Vermutlich sprach deshalb jetzt ein Anwalt der Familie von Tyre Nichols davon, dass die fünf Polizisten in Memphis den 29-Jährigen traktiert hätten wie eine "menschliche Piñata". Der Kurierfahrer war bei einer Polizeikontrolle aus dem Auto gezerrt und, wie auf einem am Wochenende veröffentlichten Video zu sehen ist, minutenlang mit Fäusten, Tritten und einem Schlagstock zusammengeschlagen worden. Nichols starb drei Tage später im Krankenhaus an seinen Verletzungen.

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