Süddeutsche Zeitung

Annegret Kramp-Karrenbauer:Schwimmen lernen

Die Kanzlerin hat sie ge- und schließlich befördert - nun muss Annegret Kramp-Karrenbauer aus eigener Kraft beweisen, dass sie zur Nachfolgerin im Kanzleramt taugt. Viel Zeit bleibt ihr dafür nicht.

Kommentar von Kurt Kister

Die Wahrscheinlichkeit, dass Annegret Kramp-Karrenbauer in die Geschichte der Bundeswehr eingeht, ist gering. Das liegt nicht daran, dass sie keine Expertin in der Sicherheits- oder Militärpolitik ist. Von den, die Neue eingerechnet, zwölf Ministern und zwei Ministerinnen in den letzten 50 Jahren hatten sich ganze zwei vorher intensiver mit dem Sujet auseinandergesetzt, nämlich Helmut Schmidt und Manfred Wörner.

Alle anderen kamen in das Amt, weil sie (Partei-)Politiker mit Erfahrung waren wie etwa Volker Rühe oder Peter Struck; weil sie sich Hoffnungen auf Größeres machten wie Karl-Theodor zu Guttenberg; weil Kanzler oder Kanzlerin erwarteten, der Schaden würde jedenfalls nicht größer werden (Rupert Scholz, Franz Josef Jung).

Bei Kramp-Karrenbauer trifft das alles zu: Sie ist als Politikerin erfahren, sie kennt die Bundeswehr kaum, sie macht sich Hoffnungen auf Größeres, und ganz sicher erwartet Merkel, dass ihre Ministerin keinen neuen Schaden anrichtet. So gesehen hat Kramp-Karrenbauer vieles, was die meisten ihrer Vorgänger, erfolgreiche wie weniger erfolgreiche, auch hatten. Und der Bundeswehrverband wird wieder einmal klagen, dass das Ministerium ein politischer Verschiebebahnhof sei.

Stimmt ja auch. Bei Kramp-Karrenbauers Benennung geht es nicht in erster Linie um die Armee oder den INF-Vertrag. Angela Merkel wäre nicht die hyperprofessionelle Politikerin, wüsste sie nicht, dass ihre Favoritin in den kommenden Monaten eine andere Bühne braucht als jene, die Kramp-Karrenbauer bisher nicht so recht zu nutzen wusste.

Ein Ministeramt bringt eine Art von Präsenz, die eine Parteivorsitzende nur dann hat, wenn sie als Parteivorsitzende sehr stark ist. Angela Merkel war eine mittelmäßig starke Parteichefin, dafür aber lange Zeit eine sehr starke Kanzlerin. Ihre Nachfolgerin im Parteivorsitz hat bisher nicht überzeugt. Ihre politische Zukunft, die mögliche Kanzlerkandidatur hängen nun davon ab, wie sie in dem wichtigen, im Lichte der Öffentlichkeit stehenden Amt agieren wird.

Das Risiko für Kramp-Karrenbauer ist groß

Das Risiko ist groß, nicht nur, weil das Ministerium schwer zu führen ist, und es viele Probleme von der Berateraffäre über die Ausrüstung bis hin zur Inneren Führung gibt. Das Risiko ist besonders groß, weil Kramp-Karrenbauer mutmaßlich nur noch ein paar Monate bleiben werden, bevor die große Koalition zerbricht.

Die Eckdaten: Bei den Landtagswahlen Anfang September in Brandenburg und Sachsen sowie Ende Oktober in Thüringen werden die Rechten viele Stimmen gewinnen, die CDU wird verlieren, und die SPD wird mehrere Desaster erleben. Die Sozialdemokraten sind ohnehin in einem bemitleidenswerten Zustand und bestehen eigentlich aus zweieinhalb Parteien: eine Regierungs-SPD, eine Oppositions-SPD und eine Nostalgie-SPD, an deren Mythen (älteste Partei, Widerstand, Willy Brandt) die anderen beiden SPDs gerne erinnern.

Relativ bald wird es ein neues Führungsduo an der Parteispitze geben, das sich das Ende der großen Koalition auf die Fahne schreiben wird. Und schließlich kommt dann noch die SPD-interne "Evaluation" der Arbeit in der großen Koalition.

Man muss also kein politischer Spekulant sein, um das Ende der großen Koalition kommen zu sehen - im Herbst oder im Winter. Merkel sieht das auch, wird aber, trotz ihrer Fähigkeit, immer wieder alle zu überraschen, eines nicht tun: Sie wird nicht wieder als Kanzlerkandidatin antreten. Also bereitet sie jetzt den Nachfolgerinnen das Feld.

Von der Leyen als Kommissionspräsidentin ist bis zu einem gewissen Grad Merkels Erfolg. Allerdings hat von der Leyen mit ihrer sehr guten Rede in Straßburg auch ihren Teil dazu beigetragen. Etwas Ähnliches soll nun Kramp-Karrenbauer schaffen: Ge- und befördert von der Kanzlerin, muss sie sich aus eigener Kraft als Nachfolgerin beweisen.

Dass Kramp-Karrenbauer bis vor Kurzem sagte, sie wolle kein Ministeramt, spielt keine so große Rolle. Bis vor Kurzem wusste man auch nicht, dass von der Leyen Kommissionspräsidentin werden würde. Selbst Angela Merkel hat jahrelang gesagt, Kanzlerschaft und Parteivorsitz gehörten zusammen. Wenn sich die Umstände ändern, muss man auch anders damit umgehen. Prinzipientreue in der Politik ist wichtig; Pragmatismus auf dem Wege zum Erreichen prinzipieller Ziele auch.

Angela Merkel hört zwar lieber Richard Wagner als Bob Dylan. Aber in Dylans Jahrhundert-Song The Times They Are A-Changin' heißt es, dass es Zeit ist zu schwimmen, wenn das Wasser um einen herum ansteigt, weil man sonst wie ein Stein versinkt. Die SPD merkt nicht, dass das Wasser steigt. Merkel dagegen hofft, dass Kramp-Karrenbauer schwimmen kann - egal ob sie die Armee oder Dylan kennt.

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SZ vom 18.07.2019/mcs
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