MeinungBundestagswahlkampf:Die Union will Deutschlands Wirtschaft aus dem Morast ziehen – aber manches klingt nach Illusion

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Kommentar von Claus Hulverscheidt

Lesezeit: 2 Min.

Er setzt auf zwei Prozent Wachstum: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), hier 2023 während einer Betriebsbesichtigung der Firma Falke. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Mit der Agenda 2030 legt CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz ein ambitioniertes Reformprogramm vor. Viele Fragen aber bleiben offen – und an einer Stelle wird es sogar gefährlich.

Der Begriff der Agenda ist einer, der im Berliner Politikbetrieb unverändert Emotionen freisetzt. Bis heute erinnert sich die SPD mit Grausen an jenen 14. März 2003, als Kanzler Gerhard Schröder die „Agenda 2010“ verkündete und erklärte, man werde „Leistungen des Staats kürzen“ und den Druck auf Arbeitslose erhöhen. Es war der Beginn des sozialdemokratischen Schismas, das mit der Linken und dem BSW gleich zwei neue Parteien gebar. Die Union wiederum schmerzt immer noch, dass nicht sie es war, die damals die Zeichen der Zeit erkannte und den Grundstein für den späteren Aufschwung legte, sondern die SPD.

Es ist daher nur folgerichtig, dass CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sein Reformprogramm nun „Agenda 2030“ getauft hat. Denn auch wenn die Probleme heute teils andere sind, ist die Ausgangslage doch ähnlich: Das Land steckt fest in einem Morast aus konjunktureller Flaute und struktureller Lähmung. Zutaten sind hohe Steuern, Sozialabgaben und gestiegene Energiepreise, Bürokratie, Arbeitskräftemangel und politische Verunsicherung, dazu Protektionismus in den USA und der Aufstieg des Systemrivalen China, der Deutschland ausgerechnet in den Paradedisziplinen Auto- und Maschinenbau technologisch überholt hat.

Gut ist: Die Union, anders als die zaudernde Scholz-SPD, kleckert nicht, sondern klotzt

Die Frage ist nun: Ist die Agenda 2030 geeignet, den Morast trockenzulegen?

Gut ist zunächst, dass die Union, anders als die zaudernde Scholz-SPD, nicht kleckert, sondern klotzt. Kernbestandteile der Agenda 2030 sind massive Steuersenkungen, mehr Arbeitsanreize vor allem für Rentner und Bürgergeldempfänger, niedrigere Sozialabgaben, mehr Forschungsförderung und weniger Bürokratie. Zusammengenommen ergibt das ein umfangreiches Angebot an Bürger wie Betriebe, zu investieren, zu konsumieren, ja, endlich wieder etwas zu wagen. Mehr Wachstum durch mehr Freiheit – dieser Gedanke soll den rot-grünen Ansatz ersetzen, einzelne Firmen per Mikrosteuerung auf Kosten der Allgemeinheit mit Unsummen zu subventionieren.

Was tun, wenn so viele Arbeitskräfte fehlen?

So viel Richtiges das Papier enthält, so viele Unstimmigkeiten gibt es aber zugleich. So ist klar, dass selbst eine deutliche Belebung der Wirtschaft die Steuerausfälle niemals wird ausgleichen können. Das gilt umso mehr, als das Wachstumsziel von „mindestens zwei Prozent“ auf kurze Sicht völlig illusorisch ist, da in riesigem Umfang Arbeitskräfte fehlen. Ein Fachkräfte-Einwanderungskonzept sucht man in der Agenda 2030 aber ebenso vergeblich wie einen Finanzplan zur Senkung der Sozialbeiträge. Auch die Frage, wie die nötigen massiven Investitionen in die Bundeswehr, die Dekarbonisierung und die Digitalisierung des Landes ohne Lockerung der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen bezahlt werden sollen, bleibt offen.

Regelrecht gefährlich aber wird es an jenen Stellen, an denen Merz sein Heil aus Angst vor der Erneuerung in der Vergangenheit sucht. Das gilt vor allem für die geplante Rücknahme des Verbrennerverbots. Sie würde die deutsche Autoindustrie nicht retten, sondern ihr erst recht einen langen Todeskampf bescheren. Wer die Industrie fit machen will für die Zukunft, muss vielmehr dafür sorgen, dass die Firmen ihren Rückstand bei neuen Technologien wie dem E-Motor so schnell wie möglich aufholen. Auch dafür aber fehlen Merz offenbar die Ideen.

Er wird an all diesen Stellen rasch nachliefern müssen. Nur dann hat sein Konzept die Chance, wie das Vorbild, die Agenda 2010, als Erfolg in die deutsche Wirtschaftsgeschichte einzugehen.

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