Taliban-Regierung in Afghanistan:Männer, Mullahs, Extremisten

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Die neue Regierung in Kabul zerstört endgültig alle Illusionen: Die Taliban haben sich nicht neu erfunden.

Kommentar von Tobias Matern

Es ist düster um Afghanistan bestellt. Aufbruch, Ausgleich, Überraschungen - alles nicht vorhanden im neuen Kabuler Kabinett. Stattdessen haben die Taliban eine Riege aus Hardlinern als Regierungsmannschaft präsentiert. Keine einzige Frau darf neben den zahlreichen Mullahs am Kabinettstisch Platz nehmen. Einige der Herren stehen auf internationalen Terrorlisten. Der Innenminister zum Beispiel würde bei Betreten der USA sofort verhaftet werden. Der Verteidigungsminister ist der Sohn von Taliban-Gründer Mullah Omar.

Dieses mit Extremisten besetzte Kabinett soll den Übergang in dem vom Krieg ausgezehrten Land gestalten. Die Mittel dafür sind angesichts der weitgehend eingefrorenen internationalen Hilfe und der weggebrochenen westlichen Kriegsindustrie indes begrenzt. Aber das ficht die Taliban gerade nicht an. Sie signalisieren mit dieser Regierung zweierlei: Intern brauchten sie zunächst einmal einen Interessensausgleich der verschiedenen Strömungen, da mussten unterschiedliche Fraktionen Posten erhalten. Und nach außen, also vor allem im Umgang mit dem Westen, sind ihnen Gefälligkeiten gerade weitgehend egal.

Ob noch Oppositionelle oder Frauen eingebunden werden? Schwer vorstellbar

Vertreter der Taliban haben angekündigt, dass sie bald eine Große Ratsversammlung nach afghanischer Tradition abhalten werden - aber ob dann auch Männer des Ausgleichs, vielleicht sogar aus der Opposition, mit an den Kabinettstisch kommen werden? Möglich, aber im Moment schwer vorstellbar. Und ob dann auch Frauen eingebunden werden und wirklich etwas zu sagen bekommen? Nahezu undenkbar. Angesichts der Einschüchterungen der Fußsoldaten gegen die mutigen Demonstrantinnen in Herat und Kabul muss der Westen nun vor allem diese Menschenrechtsverletzungen anprangern - immer und immer wieder, auf höchster Ebene.

Die Taliban mussten die Präsentation ihrer Mannschaft offenbar um einige Tage verschieben, auch hatten ihre Vertreter vergangene Woche noch einen anderen, moderateren Namen als Regierungschef gestreut. Das alles deutet darauf hin: Sie haben lange gebraucht, um sich hinter verschlossenen Türen auf diese Übergangsregierung zu einigen. Und ihre unterschiedlichen Strömungen spielen den Medien Informationen, Fehlinformationen und Halbwahrheiten zu, um die eigenen Leute besser zu positionieren; zumindest darin unterscheiden sie sich kaum von westlichen Regierungen.

Die Leidtragenden sind die Menschen im Land

Was bedeutet all dies für den Westen? Nach dem Afghanistan-Desaster hat in den vergangenen Tagen schon das vorsichtige Gerede über angeblich moderate Taliban begonnen, mit denen man nun die Zusammenarbeit suchen müsse. Schaut man sich die führenden Köpfe an, spricht dieses Kabinett jedoch eine eindeutige Sprache: An den Taliban hat sich nichts geändert. Sie sind ideologisch dieselben wie früher. Aber sie müssen nun in einer anderen Welt agieren, anders als während ihres Regimes in den 1990er-Jahren, als sie der internationale Paria-Status nicht störte. Nun sind sie auf eine Zusammenarbeit mit dem Westen angewiesen, weil die neuen Freunde aus Peking nicht im Alleingang ihren Staatshaushalt bestreiten werden - und dem Volk eine Hungerkatastrophe droht.

Der Westen seinerseits kann nun zwar die Nase rümpfen über die neuen Machthaber in Kabul, aber eben auch nicht viel mehr: Nach dem katastrophalen Ende dieses Einsatzes hängen noch immer Zehntausende ehemalige Mitarbeiter in Afghanistan fest und sollen ausgeflogen werden - dafür braucht es die Kooperation mit den Taliban. Eine breite internationale Anerkennung mit normalen diplomatischen Beziehungen ist für dieses Kabinett allerdings nicht angemessen. Washington und Berlin müssen jetzt schnell einen Weg finden, um Hilfsgeld an die notleidende Bevölkerung zu zahlen. Die Menschen im Land sind die Leidtragenden des gescheiterten westlichen Militäreinsatzes - und der Taliban-Regierung.

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