Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Der Professor, die Taliban und das Kalb

Der Jurist Faisullah Dschalal nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt seine Meinung. Den islamistischen Herrschern in Afghanistan kommt das diesmal zupass.

Von Tomas Avenarius

Wenn einer sein Gegenüber ein "Kalb" nennt, ist das lässlich, zumindest in Deutschland wird sich die Aufregung in Grenzen halten. Unter Flüchen und Beleidigungen hat das Kalb - im Gegensatz zu Schwein, Ochse und Esel - keinen gehobenen Beleidigungswert. Eher hat das Kalb einen untadelig netten Ruf: Es ist niedlich, freundlich und schmeckt als Schnitzel oder Braten.

Anders in Afghanistan. Wer dort im Streit den Vergleich mit dem Kalb bemüht, bekommt Ärger. Das Wort ist ein Schimpfwort, eine schwere Beleidigung. Faisullah Dschalal wird das gewusst haben, er ist Afghane. Der Professor für Jura und Politikwissenschaften an der Kabul-Universität hatte jüngst das Taliban-Regime in einer Fernsehsendung in einem wortgewaltigen Rundumschlag kritisiert und dabei Taliban-Sprecher Muhammed Naeem in dem Live-Auftritt als "Kalb" tituliert.

Sie sagen, er habe das Volk "gegen das System aufwiegeln" wollen

Das Video von dem Fernsehauftritt machte in den sozialen Medien Furore, der 58-jährige Professor wurde später zu Hause festgenommen. Ein anderer Taliban-Sprecher warf ihm vor, er habe das Volk "gegen das System aufwiegeln" wollen mit seiner Kritik in der Fernsehsendung. Mit dem den meisten Islamisten eigenen, sehr schlichten Rechtsverständnis wurde die scharf formulierte Meinung des Professors gegeißelt und sogar die bei den Taliban eigentlich nicht so hoch im Rang stehende Menschenwürde bemüht. Dschalal sei festgenommen worden, "damit kein anderer unter dem Schutz des Titels Professor oder Lehrer ähnlich unsinnige Kommentare abgibt und die Würde anderer Menschen beschmutzt".

Was mit Dschalal geschehen wird, ist unklar. Wer die Taliban kennt, ahnt aber nichts Gutes. Der 58-Jährige, der unter einer früheren Regierung einmal stellvertretender Bildungsminister war, ist hinlänglich bekannt als Kritiker der Islamisten. Der Jurist und Politologe nahm schon früher kein Blatt vor den Mund. Unerschrocken ging er seinerzeit die Staatspräsidenten Hamid Karsai und Aschraf Ghani an. Auch nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 ließ sich Faisullah Dschalal nicht beirren, kritisierte die neuen Herrscher immer wieder.

Faisullah Dschalal ist Tadschike, allein das macht ihn verdächtig

Zudem ist Dschalal Tadschike. Also Angehöriger einer der mit den paschtunischen Taliban tief verfeindeten ethnischen Minderheiten. Das macht ihn den Machthabern noch verdächtiger. An seiner Seite hat er eine politisch ebenso klar denkende Frau: Massuda Dschalal war unter einer früheren Regierung Ministerin, kandidierte als Staatspräsidentin im Islamo-Macho-Land Afghanistan. Auch sie missfällt den Machthabern.

Den Taliban dürfte der Anlass mit dem Satz vom Kalb also sehr recht gekommen sein. Widerspruch dulden sie keinen in ihrem angeblich von Gott gesegneten "Emirat". Eine kurze Zeit lang, direkt nach der Machtübernahme, mögen sie sich etwas moderater gegeben haben. Doch nun regieren sie wieder in der alten Manier. Also ganz so, wie sie es zwischen 1996 und 2001 taten.

Frauen im Badehaus? Das sind leider längst wieder Tempi passati

Sie schlagen Schaufensterpuppen die Köpfe ab, weil die Plastikkörper menschliche Gesichter zeigten und "Götzenbilder" seien. Sie zwingen die Menschen zum fünfmaligen Beten. Sie verbieten Frauen den Gang ins Badehaus und erlauben es den Afghaninnen nicht mehr, ohne den Ehemann oder einen anderen männlichen Verwandten längere Strecken mit dem Taxi zu fahren.

Ob sie damit auf Dauer durchkommen werden oder doch irgendwann am Widerstandsgeist der Afghanen - und inzwischen vor allem der Afghaninnen - scheitern werden, wird sich zeigen. In Kabul jedenfalls gingen ein paar sehr mutige Frauen auf die Straße. Bevor die Sittenwächter und Soldaten einschreiten konnten, skandierten sie: "Offen zu reden ist kein Verbrechen! Professor Dschalal ist kein Krimineller!" Und dann: "Wir fordern seine Freilassung, denn er ist die Stimme des Volkes!"

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