Süddeutsche Zeitung

Konflikte:Deutschland lässt seine Helfer im Stich

Die Bundeswehrsoldaten haben Afghanistan sicher verlassen. In Lebensgefahr aber sind nun jene Ortskräfte, die den Deutschen jahrelang geholfen haben. Den Regierenden in Berlin scheint das egal zu sein - eine moralische Bankrotterklärung.

Kommentar von Tobias Matern

Es brauchte den Schutz der Dunkelheit, um sicher aus dem Land zu kommen. Die letzten deutschen Soldaten haben vor ein paar Tagen Afghanistan verlassen - gegen Mitternacht. Es ist eine gute Nachricht, dass die 264 deutschen Männer und Frauen in Uniform unversehrt nach Hause gekommen sind. Schließlich liefern sich die Taliban nur ein paar Kilometer vom Abflughafen Masar-i-Scharif entfernt Gefechte mit afghanischen Sicherheitskräften. Der Westen zieht nach 20 Jahren ab und hinterlässt ein Land im Kriegszustand.

Ausgerechnet in dieser Lage verweigert die Bundesregierung Hunderten afghanischen Helfern die Unterstützung. Diese sind dem Feind schutzlos ausgeliefert, die radikalen Taliban könnten sie als Kollaborateure einstufen. Es geht also um das Leben von Dolmetschern, Fahrern, Köchen - die sogenannten Ortskräfte waren "Augen und Ohren" der Soldaten und Entwicklungshelfer. Es sind (fast ausschließlich) Männer, die mit der Bundeswehr gemeinsam Taliban-Kämpfer aufgespürt, die vor Gefahren gewarnt, die kulturelle Besonderheiten ihres Landes erklärt haben. Sie haben für deutsche Polizei-Ausbilder und für deutsche Ingenieure übersetzt. Doch den Regierenden in Berlin ist das Schicksal der Zurückgebliebenen egal. Zum Ende dieses langen Einsatzes ist das eine moralische Bankrotterklärung.

Die für die Ortskräfte zuständigen Ministerien schieben die Verantwortung hin und her wie einen lästigen Verwaltungsakt. Beispiel: Wenn die SZ dem Innenministerium morgens die banale Frage stellt, "wie beziehungsweise wo können sich die Ortskräfte auf die Aufnahme in Deutschland bewerben", vergeht ungewöhnlich viel Zeit, bis am Abend nicht mehr als der Verweis auf das Auswärtige Amt und die Regierungspressekonferenz kommt. Dabei hat noch vor ein paar Tagen der Bundesinnenminister selbst verkündet, Deutschland nehme deutlich mehr Ortskräfte auf als bislang zugesichert.

Zum Abzug der Deutschen wäre nur eine Regelung akzeptabel gewesen: Die Ortskräfte und ihre Familien hätten spätestens mit den letzten verbliebenen Bundeswehrsoldaten ausgeflogen werden müssen. Sie hätten in von Deutschland bezahlten Maschinen sitzen müssen, die sie von einem afghanischen Flughafen abholen. Die gängige Praxis dagegen ist: Die verbliebenen Ortskräfte, die sich durch das deutsche Bürokratie-Dickicht gekämpft und ein Visum erhalten haben, sollen selbständig und mit eigenem Geld nach Deutschland kommen. Antragssteller müssen nun den Umweg über die Vereinten Nationen nehmen, weil die Bundesregierung noch nicht einmal in der Lage war, pünktlich zum Abzug die nötigen administrativen Strukturen in Afghanistan zu schaffen.

Offenbar hat die Berliner Bürokratie es verdrängt, aber in Afghanistan wird geschossen. Straßen aus dem einstigen deutschen Stützpunkt Masar-i-Scharif heraus sind blockiert. Selbst ein Besuch im Copyshop, um Dokumente für den von Deutschland geforderten Antrag zu vervielfältigen, kann lebensgefährlich sein. Dieser zynische Umgang mit ihren Ortskräften ist einer Regierung unwürdig, die immer wieder behauptet, für Menschenrechte einzutreten. Egal welche Ministerin oder welcher Minister in den vergangenen Jahren über den Einsatz am Hindukusch gesprochen hat, ein Zitat durfte nie fehlen: Wir lassen die Menschen in Afghanistan nicht im Stich. Das ließ sich mit viel gutem Willen als anständig, etwas weniger wohlmeinend als Floskel einstufen. Im bisherigen Umgang mit den afghanischen Ortskräften entpuppt es sich als glatte Lüge.

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