Ende des Afghanistan-Einsatzes:Die Stunde null

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Schlussstrich unter eine lange Mission: Bundeswehrsoldaten verlassen am Dienstag Masar-i-Sharif. (Foto: Bundeswehr/dpa)

Die Bundeswehr hat Afghanistan verlassen, nach 20 Jahren. Haben sich Opfer und Mühen dieses verlustreichen Kriegseinsatzes tatsächlich gelohnt? Skepsis ist angebracht.

Kommentar von Joachim Käppner

Stadt und Provinz Kundus sind Orte der Trauer, der Tränen und des Zorns. Die Bundeswehr verlor allein hier im Kampf gegen die Taliban 15 Soldaten. Zugleich markiert der von ihr angeordnete Luftangriff am Fluss Kundus 2009 den militärischen wie moralischen Tiefpunkt des deutschen Afghanistan-Einsatzes, als nicht nur Talibankämpfer, sondern auch Dutzende Zivilisten starben. 2013 zogen die Kampftruppen der Bundeswehr ab, ihr folgten deutsche Militärberater, die der afghanischen Armee halfen, die erstarkten Gotteskrieger in Schach zu halten. Nun sind auch die Berater fort, und die Taliban rücken wieder einmal auf Kundus vor. Es wäre wenig erstaunlich, wenn die Stadt ihnen bald dauerhaft gehörte, und wehe all jenen Afghaninnen und Afghanen, denen sie Rache geschworen haben.

So sieht es fast überall aus im Land, nun, da der internationale Einsatz in wenigen Wochen endet und die Deutschen endgültig ausgeflogen sind. Ob die Regierungskräfte sich gegen die Gotteskrieger lange halten können, ist zumindest zweifelhaft. Falls nicht, droht im schlimmsten Fall ein Rückfall in genau jene Verhältnisse, welche der Einsatz vor 20 langen Jahren doch beenden sollte: Afghanistan, ein rechtloses Land, sicherer Hafen für islamistische Terrorgruppen wie damals, als al-Qaida dort 9/11 plante, die Zivilgesellschaft und vor allem die Frauen hilflos der Willkür fundamentalistischer Herren ausgeliefert.

Militärisch war dieser Krieg kaum zu gewinnen

Vielleicht hätte es anders kommen können. Chancen gab es zumindest, doch hat sie der Westen nicht genutzt. Sein erster Fehler nach dem Sturz der Taliban 2001 war der Verzicht auf ein nachhaltiges "Nation Building" zu Beginn, auf den Aufbau ziviler Strukturen, den die afghanische Gesellschaft nach dem Krieg gegen die Sowjetunion, dem Bürgerkrieg und dem Horror der Taliban-Diktatur nicht aus eigener Kraft schaffen konnte. Priorität hatte der Militäreinsatz. Zugleich aber verloren vor allem die Amerikaner durch brutale Luftangriffe mit vielen Zufallsopfern viele Sympathien. Ein Versuch, das Land und auch dessen Streitkräfte nachhaltig aufzubauen, begann ernsthaft erst nach fast zehn Jahren Einsatz durch den erfahrenen Oberkommandeur David Petraeus, doch da war es zu spät.

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Ein zweiter Grund war die Vernachlässigung des Landes, die der völkerrechtswidrige Irakkrieg der USA von 2003 an mit sich brachte, er kostete Ressourcen und Aufmerksamkeit. Daran konnte die Bundesrepublik, welche unter Gerhard Schröder eine Teilnahme im Irak zu Recht verweigerte, nichts ändern. Der Afghanistan-Einsatz, der ein klares UN-Mandat besaß, wurde zwar von sehr vielen Nationen getragen, stand und fiel aber mit den Amerikanern.

Solange die Aufständischen von sicheren Rückzugsräumen in Pakistan aus operierten, was sie bis heute tun, war dieser Krieg militärisch kaum zu gewinnen. Der dritte Fehler war es daher, um 2012, als Petraeus' Koalitionstruppen einschließlich der Bundeswehr und der neuen afghanischen Armee die Taliban massiv geschwächt und zurückgetrieben hatten, nicht aus dieser Position der Stärke heraus eine politische Lösung zu suchen. Das war aber nicht mehr möglich, da die Obama-Regierung aus innenpolitischen Gründen bereits das baldige Ende des verlustreichen Kampfeinsatzes beschlossen hatte. Jetzt mussten die Islamisten nur noch warten: "Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit." Dem entspricht der vierte Fehler, das dilettantische, sogenannte Friedensabkommen Donald Trumps 2020 mit den Taliban, das dem Motto folgte: Bloß raus hier, was kümmern uns die Afghanen.

Die Bundeswehr hat Bemerkenswertes geleistet

Was die Bundeswehr selbst betrifft, lässt sich eine deutliche Lehre ziehen: Wenn sich Regierungen dazu entschließen, Soldaten in einen solchen Einsatz zu schicken, dann benötigen sie auch ein Konzept, was dieser bewirken soll und kann. Und sie muss sich dazu bekennen, statt der einsatzkritischen Öffentlichkeit vorzumachen, man leiste ja nur eine Art bewaffnete Entwicklungshilfe. Vor allem in der frühen Ära Merkel, als sich die Lage im anfangs täuschend ruhigen deutschen Einsatzgebiet rasch verschlechterte, führte diese Haltung dazu, dass das deutsche Kontingent skandalös schlecht ausgerüstet war, als die Taliban von 2006 an Ernst machten. Es fehlte an sicheren Fahrzeugen, Helikoptern und vielem mehr. Den Preis zahlten die Soldaten, und er war hoch. Das änderte sich erst, als sich die Kampftruppen bereits auf den Abzug vorbereiteten.

Das heißt nicht, dass der Entwicklungshilfe-Ansatz an sich falsch war. Hier hat die Bundeswehr Bemerkenswertes geleistet, von der Hilfe beim Bau von Mädchenschulen bis zur Wasserversorgung für abgelegene Bergdörfer. Sie leistete ihren Beitrag zum Wiedererwachen der afghanischen Zivilgesellschaft, die jetzt bang zurückgelassen ist. Was wird bleiben? Wird der nächste Akt des afghanischen Dramas nicht eine neue Massenflucht aus dem Land sein wie schon so oft? Antworten fehlen - auch auf die drängendste Frage vieler Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr: "War es das wert?"

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