Sicherheit:Eine Welt voller Afghanistans

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Zurück aus Afghanistan: Die letzten heimgekehrten Bundeswehrsoldaten am Mittwoch nach der Landung in Wunstorf, Niedersachsen. (Foto: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/AFP)

War der Einsatz "die Sache wert"? Wer so fragt, hat ein naives Verständnis von Sicherheit - das man sich in nur wenigen Ländern der Erde leisten kann.

Kommentar von Stefan Kornelius

Mit dem Abzug der USA aus Afghanistan endet eine Zeitrechnung in der Sicherheitspolitik. Was freilich nicht endet, ist die Zeit der Unsicherheit und der Bedrohung. Denn selbst wenn keine unmittelbare Terrorgefahr von afghanischem Boden ausgeht: Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die Welt sicherer geworden ist seit dem 11. September 2001, als die Vereinigten Staaten und der Westen aus ihrem Scheinfrieden gerissen wurden, den sie nach dem Kalten Krieg gekauft hatten.

Das ist übrigens eine banale Feststellung. An einem Überschuss Unfrieden hat es der Welt nie gefehlt. Jede Zeit kannte ihre Kriege und Bedrohungen. Das wird auch in Zukunft so sein. Was sich allerdings ändert, ist die Wahrnehmung dieser Kriege und die direkte Betroffenheit.

Afghanistan war in all seiner Geschichte kein ruhiger Flecken Erde. Das Goldene Zeitalter dauerte von 1963 bis 1978 - 15 Jahre, eine Verfassung, fünf Premierminister lang. Der Rest war Krieg und Gewalt - was für die USA und die Europäer erst 2001 zur Bedrohung wurde. So gerieten der 11. September und die damit begründeten Invasionen in Afghanistan und im Irak zur großen Zäsur der westlichen Sicherheitspolitik.

Das Trauma der Verletzlichkeit hat Amerika geprägt

Mit der islamistisch motivierten Terrortat begann eine Phase der scheinbar globalen Allzuständigkeit und Verwundbarkeit vor allem der USA, es begann die Zeit der Interventionen in fernen Weltgegenden, der Anti-Terror-Kriege mit Drohnen und digitaler Komplettüberwachung. Das Trauma der Verletzlichkeit auf eigenem Boden im Augenblick unangefochtener Führung in der Welt hat Amerika nachhaltig verändert und seine Sicherheitspolitik bis heute geprägt. Der Trumpsche Isolationismus und Joe Bidens außenpolitische Zaghaftigkeit sind Beleg dafür.

Verwunderlich ist das erst mal nicht. Auch der organisierte islamistische Terror ist eine Form der Kriegsführung, die ein Land in seiner Stabilität und in seinem gesellschaftlichen Frieden bedroht. Dagegen darf sich eine Gesellschaft wehren.

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Freilich stellt sich die Frage nach Mitteln und Zielen eines Militäreinsatzes. Terrorkriege waren zur Jahrtausendwende eine neue Erscheinung. Die Ablösung des Staates als Kriegspartei durch eine nicht zu fassende, verdeckt operierende, oft hierarchiefreie und gleichwohl mächtige Bewegung war neu. Wer sich dem entgegenstellt, steht vor einem doppelten Problem: Al-Qaida oder der sogenannte Islamische Staat leben von der Instabilität ganzer Staaten. Wer sie bekämpfen will, muss die Instabilität bekämpfen - und steckt schon mitten drin im Dilemma, wie man einen Staat denn gleichermaßen mit militärischen und mit zivilen Mitteln aufbauen soll.

Es gibt auch Erfolge. Kabul war 2001 voller Trümmer

Afghanistan hat gelehrt, dass diese Anstrengung ihre Grenzen hat - dass sie aber auch belohnt werden kann. Natürlich ist die afghanische Gesellschaft offener, moderner und freier geworden. Kabul war 2001 ein Trümmermeer, die Provinz archaisch brutal. Selbst die Taliban scheinen verstanden zu haben, dass Terrorexport das sichere Mittel zur Rückkehr der fremden Mächte bedeutet. Was sich nicht geändert hat in Afghanistan, ist der Grundrhythmus, der das Leben bestimmt: die Rivalität paschtunischer Stämme, die ethnischen Konflikte, der Mangel an jedwedem republikanischen Bewusstsein.

Es ist eine sehr deutsche Eigenart, die Hilfe für andere Nationen entweder als lineare Erfolgsgeschichte oder als rundweg verdammenswert bewerten zu wollen. "Diskurse zur Außenpolitik oszillieren häufig zwischen Nabelschau und Weltbeglückung. Wir wollen entweder von der Heillosigkeit der Welt nichts wissen - oder aber wir setzen ihr eine möglichst globale Heilserwartung entgegen", schreibt Thomas Bagger, der außenpolitische Berater des Bundespräsidenten. Das hat mit der eigenen Geschichtserfahrung nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun, die ja im demokratischen Glück endete, vermutet er.

So richtig diese Beobachtung ist, so wichtig ist deshalb auch die Erinnerung, dass mit dem Abzug aus Afghanistan kein Anrecht auf Friedseligkeit eingefordert werden kann. Afghanistans gibt es überall, in Afrika, im Nahen Osten. Der islamistische Terror ist alles andere als zerschlagen, und wer die Sahel-Region in Gewalt versinken lässt, der erhält die Quittung kurze Zeit später per Attentat in Deutschland oder in der Zahl der Fluchtboote auf dem Mittelmeer.

Sieg? Niederlage? Vielleicht die falsche Frage

Es ist also falsch, die Kategorie von Sieg oder Niederlage auf Afghanistan und die friedlose Welt insgesamt anzuwenden. So funktioniert Sicherheit nicht. Sicherheit ist kein Endzustand, der - einmal erreicht - für immer als garantiert betrachtet werden kann.

Afghanistan bot Siege - sowohl für die UN-Truppen, die Aufbauhelfer, aber vor allem für die Zivilgesellschaft. Afghanistan ist allerdings auch eine Aneinanderreihung von schweren Fehlern und Niederlagen. Ob es "die Sache wert" war oder ob dieser Einsatz am Ende "umsonst" gewesen sein könnte - das sind Kategorien, die sich dem afghanischen Zeit- und Stabilitätsbegriff entziehen. Sie setzen voraus, dass ein Zustand auf Dauer stabil ist, dass einmal geschaffene Errungenschaften bleiben. Sie zeugen von einem naiven Sicherheitsverständnis, das man sich in nur wenigen Ländern der Welt leisten kann.

Es wäre ein kleiner Gewinn für die Selbstgewissen in Deutschland, wenn diese Botschaft vom Einsatz am fernen Hindukusch hängen bliebe. Die Selbstgewissen in den USA haben ihrerseits einen hohen Preis bezahlt für die Kriegsjahre. Das Land hat seine Führungsrolle in der Welt verloren und einen gesellschaftlichen Konflikt geerntet, der viel mit der Frage zu tun hat, was die USA mit der Sicherheit der gesamten Welt am Hut haben und welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit sind. Die Antwort auf die Frage bestimmt über die Sicherheit der nächsten Jahrzehnte. Afghanistan, so weiß man 20 Jahre später, verlässt niemand unbeschädigt.

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