Bundestag:Das Vizegespenst

Am Dienstag wird das Präsidium des neuen Bundestags gewählt, die AfD wird wieder nicht dabei sein. Gegen die Geschäftsordnung verstößt das glücklicherweise nicht.

Von Detlef Esslinger

Nächste Woche wird die AfD wieder ein Thema haben, einen Tag lang jedenfalls. Im Wahlkampf war es den anderen Parteien recht gut gelungen, sich die Themen nicht erneut aufdrängen zu lassen von den Radikalen; am Dienstag, wenn sich der Bundestag konstituiert, wird dies anders sein. Zunächst werden sie wohl wieder beklagen, dass der Alterspräsident erneut Wolfgang Schäuble sein wird. 2017 hatten Union, SPD, FDP, Linke und Grüne die Geschäftsordnung geändert - seitdem eröffnet nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete die Sitzung (also Schäuble). Es soll verhindert werden, dass Alexander Gauland, der verlorene Opa der Demokratie, oben Platz nimmt. Gauland ist Jahrgang 1941 und damit der Älteste im Bundestag.

Die AfD wird wieder über Unrecht schwadronieren, recht hat sie damit nicht

Hernach werden die Präsidentin und die Vizepräsidenten gewählt, und weil der AfD-Kandidat dabei gewiss wieder durchfallen wird, wird die Partei wieder über Unrecht et cetera schwadronieren. Ja, es stimmt, in der Geschäftsordnung des Bundestags steht, dass jede Fraktion im Präsidium vertreten "ist". Darin steht aber auch, dass das Präsidium gewählt wird, und zwar geheim. Darin steht nicht, dass die Abgeordneten gehalten sind, für jemanden zu stimmen, dessen Partei das Geschäftsmodell hat, Menschen aufzuwiegeln. "Gute Bildung statt Masseneinwanderung", mit dem Slogan warb Michael Kaufmann, so heißt der AfD-Kandidat, allen Ernstes im Wahlkampf.

Es gibt bestenfalls einen einzigen Grund, so jemanden zu wählen: die Vermeidung eines größeren Übels. Im März 2020 schaffte Kaufmann es in Thüringen zum Vize des Landtags - weil seine Partei sich die Landesverfassung dienstbar gemacht hatte. Auf deren Grundlage konnte sie drohen, im Fall einer Ablehnung Kaufmanns sämtliche Richter-Ernennungen zu blockieren. Im Bund aber gilt nur das Grundgesetz, und einen so unglücklichen Artikel wie in Thüringen enthält es nicht. Kaufmann mit seiner Bildung wird nur als einfacher Abgeordneter arbeiten können.

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