Süddeutsche Zeitung

AfD:Freie Radikale

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Die AfD wird nach dem Abschied von Jörg Meuthen noch weiter nach rechts rutschen. Nicht nur für den Bundestag könnte das zum Stresstest werden, sondern auch für die Zukunft der Partei.

Kommentar von Markus Balser

Es sollte das Jahr des Aufbruchs für die AfD werden. "Deutschland. Aber normal" - so lautete der Slogan, mit dem Jörg Meuthen seine Partei noch im Frühjahr in den Bundestagswahlkampf schickte. Der Parteichef hatte das Bild einer harmlosen bürgerlichen, vor allem aber geschlossenen Volkspartei entworfen, die sogar den Anspruch formuliert, mitzuregieren. Meuthen selbst machte am Montag mit dem eigenen Abschied allerdings endgültig klar: Mit der Realität hat dieses Bild nichts zu tun.

Die AfD ist in den vergangenen Monaten eine ganz andere Partei geworden. Eine, in der die äußerst rechte Strömung auf dem Vormarsch ist. Radikale Forderungen aus dem Lager des offiziell aufgelösten "Flügel" setzten sich schon vor der Wahl mühelos durch. So schafften es etwa der Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, der "Dexit", oder der Aufbau von Grenzanlagen gegen den Willen von Meuthen ins Wahlprogramm. Die Bundestagswahl hat diesen Trend mit Erfolgen der äußerst rechten Kandidaten in Ostdeutschland noch verstärkt.

Die Folge ist eine erneute Häutung der Rechtspopulisten an ihrer Spitze. Bernd Lucke war der erste Parteichef, der den Drall nach rechts bremsen wollte. Er gab 2015 auf. 2017 scheiterte Frauke Petry mit dem Versuch, die AfD nach rechts außen abzugrenzen. Nun sind auch die Hoffnungen des dritten Parteichefs in Folge geplatzt, diese Partei weg vom rechten Rand zu führen. So klar wie nie steht damit in der noch jungen Geschichte der AfD das Erfolgsmodell zur Disposition, bürgerliche Fassade und Radikalität zu vereinen.

Besonders sichtbar wird das an der aktuellen Suche nach einem neuen Spitzenduo. Bislang teilten sich die gegnerischen Lager die beiden Posten. Zuletzt etwa Meuthen und sein Co-Chef Tino Chrupalla von der äußerst rechten Parteiströmung. Bei dieser Praxis ist Streit vorprogrammiert. Als aussichtsreicher Anwärter für den Spitzenposten gilt derzeit neben Chrupalla der Haushaltspolitiker Peter Boehringer. Auch er wird dem rechten Lager zugerechnet. Der Weg für eine weitere Radikalisierung der Partei wäre mit einer solchen Doppelspitze frei.

Sollte die CDU in der Opposition landen, wird es für die AfD noch schwerer

Getrieben wird der Rechtsdrall aber auch von einem strategischen Dilemma. Denn landet die Union infolge einer Ampel-Koalition im Bundestag in der Opposition, wird es für die AfD dort künftig noch schwerer, Aufmerksamkeit zu bekommen. Die größte Oppositionspartei würde ihr dann bei bürgerlichen Themen das Wasser abgraben. Auffallen, so heißt es in den Reihen der AfD, könne die eigene Partei dann wohl nur mit radikalen Thesen.

Ein Rechtsruck aber dürfte den Verfassungsschutz in seiner Haltung bestärken, noch härter gegen die AfD vorzugehen. Stuft der Inlandsgeheimdienst die Partei wie erwartet hoch, haftet ihr das behördliche Stigma des Rechtsextremismus-Verdachts an. Welche Spuren das langfristig hinterlassen kann, zeigt das Beispiel der Republikaner. Sie wurden von 1992 bis 2006 als Verdachtsfall des Verfassungsschutzes geführt. Sie verloren kontinuierlich Mitglieder und Wähler und spielen heute kaum noch eine Rolle.

Dass der AfD ähnliches Schicksal droht, ist allerdings keinesfalls sicher. Sie hat bei den jüngsten Wahlen bewiesen, dass sie bundesweit trotz etlicher Skandale eine unerschütterliche Kernwählerschaft anspricht. Auch eine radikalere AfD wird das politische System in Deutschland noch lange beschäftigen.

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