Es ist wohl ein Wendepunkt in dem Krieg, der Äthiopien seit acht Monaten in Atem hält: Die Truppen der Zentralregierung ziehen sich offenbar aus der abtrünnigen Region Tigray im Norden zurück, die Rebellen der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) haben die Kontrolle über die Regionalhauptstadt Mekelle übernommen. Addis Abeba kündigte zudem überraschend eine einseitige Feuerpause an.
Für die Menschen in Not im Norden Äthiopiens wäre das eine gute Nachricht. Voraussichtlich erhalten Hilfsorganisationen nun leichter Zugang zu der Region und können die von den Kämpfen gebeutelten Bewohner mit Nahrungsmitteln versorgen - vorausgesetzt freilich, dass sich Addis Abeba tatsächlich an die Waffenruhe hält und die TPLF sich darauf einlässt.
Eine Lösung des Konflikts versprechen die jüngsten Entwicklungen jedoch nicht. Stattdessen zeichnet sich das Ende des Vielvölkerstaats Äthiopien in seiner jetzigen Form ab. Tigray ist zwar der akuteste, aber nicht der einzige Konfliktherd in dem 110-Millionen-Land, in dem Dutzende verschiedene Bevölkerungsgruppen leben. Immer wieder flammen Unruhen auf, immer wieder geht es um die Verteilung von Macht und Ressourcen. Und auch wenn es anfangs anders ausgesehen hat: Premier Abiy Ahmed ist offenkundig nicht der Mann, der diese komplizierte Gemengelage friedlich lösen kann.