Abstimmung über Schweizer Antiterror-Gesetz:Wer ist hier die Gefährderin?

Abstimmung über Schweizer Antiterror-Gesetz: Sanija Ameti hat schlicht Angst: "Und die ist sehr persönlich", sagt sie.

Sanija Ameti hat schlicht Angst: "Und die ist sehr persönlich", sagt sie.

(Foto: oh/oh)

Die junge Schweizerin Sanija Ameti würde sich lieber auf ihre Promotion konzentrieren, doch nun bekämpft sie das neue Antiterror-Gesetz. Ihre Angst davor ist nicht zuletzt eine sehr persönliche

Von Isabel Pfaff

Sanija Ameti ist nicht das, was man sich unter einer knallharten Politikerin vorstellt. Schmal, das dunkle Haar wie ein Vorhang, der Blick ernst, das Lächeln sanft. Und doch gibt es wohl kaum jemanden in der Schweiz, der der Justizministerin des Landes - ihrerseits eher eine Hardlinerin - gerade mehr auf die Nerven geht.

Sommer 2020. Sanija Ameti sitzt in ihrem Büro an der Uni Bern, vor ihr der Computer, eigentlich sollte sie an ihrer Dissertation über Cyber-Sicherheit arbeiten. Aber die junge Juristin schaut Parlaments-Livestream und kann nicht fassen, was sie da hört. Es geht um das neue Antiterror-Gesetz der Schweiz, eingebracht von Justizministerin Karin Keller-Sutter.

Das Gesetz will es der Polizei erlauben, gegen sogenannte Gefährder vorzugehen, auch wenn die Beweise noch nicht für ein Strafverfahren reichen. Konkret: Wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass von einer Person eine terroristische Gefahr ausgeht, dürfen die Polizeibehörden präventive Maßnahmen verhängen - etwa eine Meldepflicht, Kontakt- und Reiseverbote, sogar Hausarrest. Schon Kinder ab 12 Jahren können als Gefährder gelten.

"Nur aufgrund einer Gefährlichkeitsvermutung kann die Polizei hier richtig drastische Maßnahmen verhängen", sagt Sanija Ameti in ihrem Berner Büro, "und das ohne richterlichen Beschluss." Trotzdem wurde das sogenannte Bundesgesetz über Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) im September 2020 vom Parlament verabschiedet. Sanija Ameti spürte von da an ein Stechen im Bauch, das nicht mehr wegging. Sie war nicht einfach nur beunruhigt oder genervt von dem neuen Gesetz, erzählt sie. Sie hatte schlicht Angst. "Und die ist sehr persönlich."

Ameti ist 1993 in Bosnien-Herzegowina geboren, als Kind muslimischer Eltern, mitten in den Kriegswirren des bereits zerfallenen Jugoslawien. Sie ist noch ein Baby, als die Polizei nachts in die Wohnung der Familie einbricht und den Vater, einen Oppositionellen, mitnimmt. Das passierte mehrmals, so erzählt es Ameti heute. Da beschließt die Familie, in die Schweiz zu fliehen. Nur wenig später, im Sommer 1995, verüben bosnische Serben den Genozid an 8000 muslimischen Männern und Jungen in Srebrenica.

"Ich habe mich immer gefragt, wie es so weit kommen konnte", sagt Ameti. Letztlich habe ihr Hannah Arendt geholfen: ihr Konzept von der Banalität des Bösen und die Erkenntnis, dass das Böse letztlich menschlich ist. "Um dieses Böse einzuhegen, brauchen wir künstliche Sicherungen wie die Gewaltenteilung", ist Ameti überzeugt. Und ist plötzlich wieder mitten in der Schweiz, wo man sich ein Polizeigesetz ausgedacht hat, das diese Gewaltenteilung über weite Strecken missachtet.

"Verbreite nicht auch ich Furcht und Schrecken, oder die Klima-Aktivisten?"

Die Juristin findet keine Ruhe, gründet ein Komitee - wie man das in der Schweiz eben macht, wenn man mit der Politik unzufrieden ist. Zusammen mit ihrer Partei, den Grünliberalen, und anderen Gleichgesinnten sammelt Ameti Unterschriften. Es ist zäh, aber am Ende klappt es: Weil mehr als 50000 Menschen unterschrieben haben, muss die Bevölkerung nun, am 13. Juni, über das PMT-Gesetz abstimmen.

Die fehlende Gewaltenteilung ist nicht alles, was Ameti an dem Gesetz erschüttert. Für noch gefährlicher hält sie dessen schwammige Terrorismus-Definition: Demnach gelten Menschen bereits als terroristische Gefährder, wenn sie "Furcht und Schrecken" verbreiten. "Was genau soll das sein?", fragt Ameti. "Verbreite nicht auch ich Furcht und Schrecken, oder die Klima-Aktivisten?" Sanija Ameti ist mit ihrer Kritik nicht allein. Dutzende namhafte Schweizer Juristen kritisieren das Gesetz in einem offenen Brief an die Regierung, der Europarat hat die Schweiz aufgefordert, das Gesetz zu überarbeiten, und sogar mehrere UN-Sonderberichterstatter warnen eindringlich vor der problematischen Schweizer Terrorismus-Definition.

Doch weder die Regierung noch das Parlament ließen sich von den schon früh geäußerten Bedenken beeindrucken. Wo sie kann, verweist Justizministerin Keller-Sutter auf die europaweit gestiegene Terrorismusgefahr. Kritik an der fehlenden richterlichen Kontrolle wischt sie weg mit dem Verweis auf die Möglichkeit, gegen jede Maßnahme beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einreichen zu können. Und den offenen Brief der Juristen konterte sie in Interviews mit der Bemerkung: "Bei Rechtsfragen gibt es immer verschiedene Meinungen."

"Putzhässig", stinkwütend, habe sie dieser Satz gemacht, sagt Sanija Ameti. Doch die Wut der Gesetzesgegner wird wohl nichts nützen. Ihre Aussichten am Abstimmungstag sind schlecht: Laut Umfragen wollen mehr als 60 Prozent für das Antiterrorgesetz stimmen.

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