Deutschland und die CDU:Eine heißkalte Liebe

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Die CDU wird 75 Jahre alt. Zwei ihrer bisher fünf Kanzlerinnen und Kanzler: Angela Merkel und Helmut Kohl 2009 in dessen Haus in Ludwigshafen-Oggersheim. (Foto: REUTERS)

Westbindung, soziale Marktwirtschaft, Europa - die CDU hat die Bundesrepublik auf einen guten Weg geführt. Doch nun muss sie aufpassen, nicht den Kontakt mit der modernen Gesellschaft zu verlieren.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Die Sprache klang noch ziemlich alt - dabei wollten die Autoren nichts sehnlicher, als etwas Neues zu schaffen. "Deutsches Volk!" steht über ihrem Aufruf. Und die Zeilen darunter klingen kaum weniger pathetisch. "In der schwersten Katastrophe, die je über ein Land gekommen" sei, rufe man "aus heißer Liebe zum deutschen Volk" zum Aufbau einer neuen Heimat auf. "Die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers" habe Deutschland ins Chaos gestürzt. Um "den Weg der Wiedergeburt" zu schaffen, müsse man sich jetzt auf die "sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen". So steht es im Berliner Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945.

Die Partei feiert gerade ihren 75. Geburtstag. Und wenn man aus diesem Anlass Bilanz zieht, kann man sagen, dass die Autoren des Gründungsaufrufs ihr Ziel erreicht haben. "Folgt unserem Ruf zu einer großen Partei", hatten sie unter ihr Papier geschrieben. Und aus der CDU ist tatsächlich eine große Partei geworden - genau genommen sogar die erfolgreichste in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr entstammen fünf der bisher acht Bundeskanzler und sechs der zwölf Bundespräsidenten. Bei 16 von 19 Bundestagswahlen wurde die Partei im Verbund mit ihrer bayerischen Schwester CSU stärkste Kraft.

Der CDU gelang es relativ schnell, die Konkurrenz zu absorbieren

In die Wiege gelegt war das der CDU nicht. Bei der ersten Bundestagswahl lagen Union und SPD noch fast gleichauf. Konrad Adenauer wurde nur mit einer Stimme Mehrheit zum Kanzler gewählt, es war seine eigene. Damals saßen noch fünf Konkurrenten aus dem rechten Lager im Parlament: Das Zentrum, die Deutsche Partei, die Bayernpartei, die WAV und die Deutsche Konservative Partei.

Aber der CDU gelang es relativ schnell, die Konkurrenz zu absorbieren. Die Partei schaffte es, Konservative, Liberale, Christlich-Soziale, Nationalkonservative und Nationalliberale unter einem politischen Dach zu vereinen - und das über die Konfessionsgrenzen hinweg. Die CDU wollte von Anfang an Volkspartei sein. Die SPD vollzog diesen Schritt deutlich später. Erst 1959 stellten die Sozialdemokraten in ihrem Godesberger Programm fest, dass die SPD "aus einer Partei der Arbeiterklasse zu einer Partei des Volkes geworden" sei.

Im Gegensatz zur SPD war die CDU beim Integrieren nie besonders wählerisch. Nach der Wende vereinnahmten die Christdemokraten gleich zwei DDR-Blockparteien. Und nach dem Zweiten Weltkrieg verhalfen Christdemokraten auch Männern wie Hans Globke zu neuen Karrieren. Globke war im Dritten Reich Mitverfasser des wichtigsten Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen. Adenauer machte ihn trotzdem zum Kanzleramtschef und verteidigte das mit dem Satz: "Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat." In ihrer Geschichte war die CDU oft auch eine Partei des Unter-den-Teppich-Kehrens.

Trotzdem hat sich die Partei enorme Verdienste um das Land erworben. Die Westbindung (Konrad Adenauer), die soziale Marktwirtschaft (Ludwig Erhard) und die europäische Einigung (Helmut Kohl) sind bis heute Pfeiler des deutschen Staatsverständnisses.

Die CDU hat sich von Anfang an der europäischen Verständigung verschrieben. Für die Wiedervereinigung war sie auch dann noch eingetreten, als die meisten politischen Mitbewerber das Thema nicht mehr auf der Agenda hatten. Und mit ihrem Charakter als Volkspartei hat die CDU Zerrissenes zusammengeführt und Zusammenhalt erleichtert. Gerade in einer Zeit, in der viele Staatschefs auf Spaltung setzen, darf man das nicht unterschätzen.

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Ihre Kraft zur Integration, das war das Erfolgsrezept der Christdemokraten. Aber genau deshalb muss sich die Partei zurzeit Sorgen machen. Denn in einigen Bereichen gelingt ihr es nicht, als offen genug wahrgenommen zu werden. Das gilt insbesondere für die Frauen und die Jungen, aber auch für Migranten, Homosexuelle und andere Gruppen.

Bis heute ist die Lesben- und Schwulenunion nicht als offizielle Gruppierung der CDU anerkannt

Die CDU verweist ja gerne auf Kanzlerin Angela Merkel, Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und an der Spitze ist die Partei tatsächlich kein Männerbund mehr. Doch darunter hat sich kaum etwas verändert. Nur in einem Bundesland steht eine Frau an der CDU-Spitze. Und der Anteil der weiblichen Parteimitglieder liegt bei 26 Prozent, am Anfang der Ära Merkel waren es 25.

Bei den Jungen sieht es kaum besser aus. Das erkennt man schon am Altersdurchschnitt der CDU-Mitglieder. Der liegt bei gut 60 Jahren. Das heißt, dass rechnerisch auf jedes 20-jährige Mitglied ein 100-jähriges kommt. Ausgerechnet die Junge Union ist ein Problem. Beim Aufkommen der Fridays-for-Future-Bewegung hat sich einmal mehr gezeigt, dass der konservative Jugendverband mit seinem robusten Vorsitzenden Tilman Kuban eher abschreckende Wirkung auf junge Erwachsene hat, als dass er integrieren könnte.

Der Bundespräsident hat die CDU in seinem Geburtstagsgruß dafür gelobt, dass sie es immer wieder vermocht habe, ihre Überzeugungen behutsam zu modernisieren. Doch in manchen Bereichen tut sie das dermaßen behutsam, dass es abschreckend wirkt. So wurden die meisten Fortschritte für Homosexuelle, etwa bei der steuerlichen Gleichstellung und im Adoptionsrecht, der CDU vom Verfassungsgericht aufgezwungen. Auch die Ehe für alle hat das Land nicht den Christdemokraten zu verdanken, sogar Angela Merkel hat dagegen gestimmt. Und bis heute ist die Lesben- und Schwulenunion nicht als offizielle Gruppierung der CDU anerkannt.

"Die Zukunft der CDU wird sich daran entscheiden, ob wir den Charakter einer Volkspartei behalten oder ob wir Klientelpartei werden", hat Generalsekretär Paul Ziemiak gesagt. Das stimmt. Die Gefahr, dass die CDU zu einer Klientelpartei für Frauen, Junge, Migranten oder Homosexuelle werden könnte, besteht zumindest derzeit allerdings nicht.

© SZ vom 27.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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