Süddeutsche Zeitung

Zweiter Weltkrieg:Andererseits

Ein russisch-deutsches Hörstück erklärt dem Publikum das jeweils andere Land am Anfang von Hitlers Russland-Feldzug. Mit dabei sind Deutschlandfunk, WDR und das vom Kreml unabhängige Radio Echo aus Moskau.

Von Stefan Fischer

Am Anfang ist ein tiefer Unglaube. Dass die deutsche Wehrmacht ihr Land tatsächlich überfallen würde, kann sich kaum ein Bewohner der Sowjetunion vorstellen Ende Juni 1941 - als die Nachricht kursiert, dass das Unvorstellbare eingetreten ist. So erzählt es das deutsch-russische Dokumentar-Hörspiel Horchposten 1941 ja slyshu wojnu. Hörspieldramaturgen und Historiker beider Länder haben für die ambitionierte zweiteilige Produktion Briefe, Tagebücher, Propaganda-Material und Dokumente ausgewertet, um aus vielen Perspektiven auf den Ostfeldzug im Zweiten Weltkrieg zu blicken. In der berechtigten Erwartung, dass sich daraus ein fassbarer Eindruck ergibt.

Es ist ein außergewöhnliches Projekt der Autoren Jochen Langner und Andreas von Westphalen, zu dem sich Deutschlandfunk, WDR und das vom Kreml unabhängige Radio Echo Moskau zusammengetan haben. Denn die Hörer bekommen jeweils nur einen Teil all der Perspektiven präsentiert: denjenigen, den sie schlechter kennen. In dem Hörspiel lösen sich in kurzen Abständen deutsch- und russischsprachige Sequenzen ab. Die deutschen Passagen befassen sich dabei mit den russischen Quellen und umgekehrt. Horchposten 1941 ja slyshu wojnu (zu Deutsch: Ich höre den Krieg) spannt den kompletten Bogen, vom Einmarsch deutscher Heeresgruppen in die Sowjetunion bis zur Eroberung Berlins durch die Rote Armee, räumlich legt das Hörspiel den Fokus auf die belagerte Stadt Leningrad. Bei Deutschlandfunk gibt es vorab eine Einführung von Sophie Garke: An meinen fernen Freund.

Auffällig ist der Zorn etlicher Leningrader, die sich echauffieren, dass Stalin Bankette gibt, während sie hungern, und dass trotz massiven Ärztemangels jüdische Mediziner aus der Gesellschaft gedrängt werden. Vor allem in Russland werde die Geschichte des Zweiten Weltkriegs "zu einem heroischen Epos mit Kultstatus" verklärt, äußert Sergej Buntman, der verantwortliche Redakteur von Radio Echo Moskau. Horchposten 1941 ja slyshu wojnu macht unmissverständlich klar - auch den Deutschen -, dass an diesem Krieg nichts heroisch ist, aber vieles menschenverachtend. Und dass es dafür Verantwortliche gibt. Mehrere Millionen.

An meinen fernen Freund. Ein deutsch-russischer Erinnerungsstreifzug mit dem "Horchposten 1941", DLF, 20.10 Uhr. Horchposten 1941 ja slyshu wojnu, DLF, 13. und 20. Mai, jeweils 20.05 Uhr. WDR 3, 17. und 18. Mai, jeweils 19.04 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2017
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