Zweite Staffel:Podcast "Serial" ist zurück - mit politischem Sprengstoff

U.S. Army Sergeant Bowe Berghdal is pictured in handout photo provided by U.S. Army

Das bekannteste Foto von Bowe Bergdahl wurde von der US-Armee bereitgestellt. Die zweite Staffel des "Serial"-Podcasts recherchiert den Fall des Soldaten, der von den Taliban festgehalten wurde.

(Foto: REUTERS)

Millionen Menschen werden einem US-Soldaten zuhören, warum er seine Einheit in Afghanistan verließ und wie es in Taliban-Gefangenschaft war. Vermutlich zum Ärger von Donald Trump.

Von Matthias Kolb, Washington

Die Spannung war enorm, kurz vor Weihnachten 2014. Fünf Millionen Menschen wollten in der letzten Folge des Podcasts Serial erfahren, ob Adnan Syed den Mord an seiner Ex-Freundin von der High School gestehen würde - oder nicht. Syed sitzt in einem Gefängnis in Maryland, die Journalistin Sarah Koenig interviewte ihn und andere Beteiligte, zeichnete den mysteriösen Fall aus dem Jahr 1999 akribisch nach. Zwölf Wochen, zwölf Episoden lang folgten Hörer gebannt ihrer Recherche. Der Guardian zog Vergleiche zur Beatlemania, die SZ beschrieb das Prinzip damals so: "Wie ein Krimi, aber echt".

Am Freitag wurde bekannt, dass die zweite Staffel des erfolgreichsten Podcasts der Welt startet, die erste Episode steht zum Download bereit. Die Server brachen zusammen, auf Reddit wurde ein Subreddit gestartet, Twitter-Nutzer jubelten.

Der Entzug ist zu Ende

Sofort reaktivierten Online-Medien wie Slate ihre eigenen Serial-Podcasts. Genau: In den USA sind die unabhängig vom Radio produzierten Programme so beliebt, dass es Podcasts über den Serial-Podcast gibt. Nun ist fast alles wieder da, was Serial-Junkies vermisst haben: Der charmante Werbe-Trailer für Mail Chimp, Klavier-Geklimper, dann Sarah Koenigs Stimme: Sie erklärt das Projekt ("Er war wie ein Gespenst, er hat nie gesprochen") und Hinweise gibt ("dazu mehr in einer späteren Folge").

Und doch ist die zweite Staffel anders: Sie ist relevanter, politischer und liefert viel Gesprächsstoff. Es geht nicht mehr um true crime, also einen Kriminalfall aus dem Alltag. Es geht um Krieg, Terror, Geheimdienste. Denn Koenig, die früher für This American Life arbeitete, rollt nun den Fall des US-Soldaten Bowe Bergdahl auf.

Bergdahl war knapp fünf Jahre in der Gewalt der Taliban, bevor er im Mai 2014 gegen fünf afghanische Häftlinge aus Guantánamo ausgetauscht wurde. Schon damals wurde der Fall kontrovers diskutiert und taucht seitdem regelmäßig in der politischen Debatte wieder auf. Donald Trump nutzt den Fall, um Präsident Obama als "dummen Schwächling" zu kritisieren ("Wir kriegen einen Verräter, und die anderen fünf ihrer gefährlichsten Killer") und sich selbst als harten Kerl zu präsentieren: Der Republikaner erinnert gern daran, dass Verräter früher erschossen worden seien.

Die Bedeutung des Falls erklärt, wieso es Serial als womöglich erstem Podcast gelang, als Breaking News im Nachrichtenteil aller Zeitungen (zum Beispiel in der Washington Post) zitiert zu werden. Denn in der ersten Folge erklärt der heute 29 Jahre alte Bergdahl, wieso er seinen Posten in Afghanistan verließ: Er wollte durch sein Verschwinden für eine "Krise" sorgen, damit endlich über das geredet werde, was er als "Versagen der Führung" der US-Armee ansah. Whistleblower oder Verräter - diese Frage wird Serial beleuchten.

"Mutig, aber doch bescheuert"

Bergdahl schickte seine privaten Sachen zurück nach Idaho, zog afghanische Klamotten an und verließ am 30. Juni 2009 den Armee-Posten, obwohl es drum herum "nichts gab außer Taliban". Ähnlich wie in Staffel 1, als Protagonist Adnan Syed per Telefon aus dem Gefängnis seine Sicht erklärte, entsteht eine packende, intime Atmosphäre, wenn Bergdahl spricht. Er sagt, dass er sich als "echter Kerl" habe beweisen wollen. Rückblickend beschreibt er sein Vorgehen als "mutig, aber doch ziemlich bescheuert".

Die Intimität entsteht auch, weil die Aufnahmen eigentlich nicht öffentlich werden sollten: Bergdahl vertraute sich dem Drehbuch-Autor Mark Boal an ("Hurt Locker"/ Zero Dark Thirty), der sich während der Telefonate auch mal einen Snack zubereitet. Boal arbeitet an einen Film über Bergdahl, doch er entschied sich, mit dem Serial-Team zu kooperieren und die 25 Stunden Audio-Material zur Verfügung zu stellen. Sarah Koenig war sofort fasziniert und stoppte die Recherchen zum eigentlich geplanten Projekt für Staffel 2. Der Grund: Sie sah die Chance, den Erfolg von Serial zu nutzen, um "etwas Bedeutsames" zu tun, wie sie dem New Yorker sagte.

Was Serial so besonders macht - und welche Strafe Bergdahl droht

Der Serial-Podcast, der mehr als 100 Millionen Mal heruntergeladen wurde, ist so besonders, weil die Hörer nicht nur die Recherche minutiös mitverfolgen, sondern auch auftretende Widersprüche und Zweifel des Teams beschrieben werden. Weil jede Staffel knapp drei Monate dauert, besteht die Chance, dass sich neue Zeugen melden und sich die Geschichte quasi in Echtzeit verändert. Das könnte auch in der zweiten Staffel passieren: Bald wird entschieden, ob sich der junge Soldat, der momentan in Texas stationiert ist, vor einem Militärgericht verantworten muss. Wenn dies geschieht, könnte er zu lebenslanger Haft verurteilt werden.

Sehr wahrscheinlich werden Koenigs Recherchen auch im US-Wahlkampf thematisiert und kommentiert werden: Im Anfangstrailer wird Donald Trumps Rede zitiert, und in den sozialen Medien schimpfen viele Konservative über den "Verräter".

Die wütenden Kameraden (mehr in diesem SZ.de-Text) kommen auch bei Serial zu Wort. Viele andere konservative Politiker sehen Bergdahls Verhalten äußerst kritisch: Senator John McCain, Chef des Verteidigungsausschusses, bezeichnete ihn vor zwei Monaten als "Deserteur", und die Republikaner im Repräsentantenhaus werfen der Obama-Regierung in einem Bericht vor, die Abgeordneten hinters Licht geführt zu haben. Die Aktion sei illegal gewesen, denn Obama hätte den Kongress 30 Tage vor dem Gefangenen-Austausch informieren müssen.

Anruf bei den Taliban

Die Regierung argumentiert, dass sie verpflichtet sei, einen US-Soldaten aus der Gefangenschaft zu befreien. Obama verkündete die Befreiung von Bergdahl im Rosengarten des Weißen Hauses, an der Seite von Bergdahls Eltern - und wurde für diese Inszenierung stark kritisiert. Koenig verrät im Gespräch mit dem New Yorker wenig über die Hintergründe der Befreiung ("das ist ein großer Teil der Recherche"), doch sie sagt: "Ich bewundere die Leute aus der Regierung heute noch viel mehr als früher für die Arbeit, die sie leisten."

Es lohnt sich, die Serial-Recherchen zu verfolgen. Wer die erste Staffel kennt, wird sowieso wieder reinhören. Die Cliffhanger werden immer besser: Die erste Folge der Bergdahl-Recherche endet mit einem Telefonat, das Sarah Koenig führt. Sie ruft bei den Taliban an, um deren Version des Gefangenenaustauschs zu hören.

Linktipps:

  • Der Podcast Serial ist kostenlos abrufbar unter www.serialpodcast.org.
  • In diesem Interview mit dem New Yorker erklärt Sarah Koenig interessante Hintergründe zur zweiten Staffel.
  • Vox.com hat die wichtigsten Fakten zum Fall von Bowe Bergdahl und den "Taliban Five" in diesem Artikel zusammengefasst.
  • Mit einer Beschreibung dieses Videos, das die Freilassung von Bowe Bergdahl zeigt, beginnt die erste Episode:
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