Zum Tod von Oliver Storz:Der entscheidende Ton

Die Stimme, ein Jazz-Moment: Oliver Storz war ein großer Regisseur, heiter, traurig, punktgenau. Noch im hohen Alter wirkte er jünger als viele seiner jungen Kollegen. Ein Intellektueller, aber einer, der den Boulevard kannte - mit Leben, Lieben, Leiden.

Alexander Gorkow

Es war um die Jahrtausendwende, im Winter 1999/2000, als man in der SZ-Medienredaktion plötzlich eine Stimme am Telefonhörer hatte, die das Geplapper der Umwelt ausblendete. Es war eine Stimme zum Innehalten.

OLIVER STORZ

Oliver Storz, natürlich mit einer Zigarette der Marke Benson & Hedges. Er war ein dezenter, doch stets aufsässig wirkender Mann. Und bei alldem: ein Gentleman alter Schule.

(Foto: DPA)

Der Leser Oliver Storz hatte über Wochen eine Artikel-Reihe auf der Medienseite verfolgt, bevor er zum Hörer griff und einen eigenen Text anbot. In der Artikel-Reihe ("Hinter der Kamera") hatten Fernsehleute übers Fernsehen geschrieben. Es war eine Abfolge qualitativ furchterregend schwankender Gastbeiträge, in der Produzenten schamlos über ihre hohen Ansprüche philosophierten, Regisseure über diese Produzenten jammerten, und beide zusammen jammerten über Fernsehredakteure, vor allem über die mit spätabsolutistischer Selbstherrlichkeit ausgestatteten Quadratschädel aus den öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Die Stimme am Hörer nun fiel total aus dem Rahmen. Sie war ruhig, sogar zaghaft, dabei dezidiert. Sie war tief. Und sie war extrem cool. Am 22. Januar 2000 schrieb Oliver Storz seinen Beitrag für die SZ. Über einen prototypischen TV-Funktionär befand er in diesem Text, es entlarve sich hier "der wahre Machthalter des neuen Jahrhunderts: der Seelenbuchhalter. Zynismus und Unschuld schließen sich nicht aus. Es gibt einen Zynismus, der nichts von sich ahnt. Sein Arbeitsfeld ist die Verdinglichung der geistigen Produktion. Wenn alles Ware ist, kann damit alles geschehen, und zwar im Stande der Arglosigkeit."

Der Text war verdammt gut. Eigentlich war er brillant. Er war sogar dermaßen brillant, dass die Medienredaktion damals per Eilverfahren beschloss, einige Großwesire des deutschen Fernsehwesens zu brüskieren, indem man bestellte und schon eingesandte Manuskripte nicht mehr abdruckte. Also schrieben wir unter die Überschrift des Storz-Artikels: "Hinter der Kamera - LETZTER TEIL". Das fand auch er, der gelernte Journalist Storz, damals halbseriös, andererseits vergnüglich.

Oliver Storz liebte die Diktionen und Farben des Jazz. Und ihm zu Ehren darf man heute sagen: Dringt eine Stimme wie die seine in die Redaktion einer Zeitung, so ist das der Jazz-Moment im Stadl. Es ist, als ob im Lärm der Gegenwart Art Farmer Petite Belle spielt. Alles wird dann sofort anders. Oliver Storz wusste das. Weshalb das Lied nun übrigens einen Schatz darstellt in den Erinnerungen Matthias Brandts, des großen, späten Storz-Schauspielers.

Der Brutus seines Vaters

Storz ließ Brandt 2003 ausgerechnet den Spion Guillaume spielen, den Brutus seines Vaters Willy, und zwar in dem Fernsehfilm Im Schatten der Macht. Der Schauspieler wird nie die Stunden vergessen, in denen er nach langen Drehtagen gemeinsam mit Oliver Storz im Produktionswagen sitzen blieb - um Jazz zu hören. Art Farmers Petite Belle haben sie gehört und natürlich den göttlichen Duke Ellington. Brandt sagt: "Wir haben auch filmische Fragen am Jazz entlang besprochen, im Sinne von: Das müsste jetzt so sein wie bei Ellington, wenn da die Bläser einsetzen. Unser Traum in diesen Stunden? Wie Chet Baker einen Ton, den einen Ton zu treffen - oder eben: ihn gerade nicht zu treffen."

Storz verfasste seit seinem Telefonanruf im Jahr 2000 und bis zum Sommer 2009 viele Texte und Kolumnen für diese Medienseite, später auch für das SZ Wochenende. Wir hatten plötzlich einen neuen Mitarbeiter. Der Neue war 70 Jahre alt. Und ohne die Zutat später Rührung muss man sagen, dass einem der große, elegante Mann immer jünger vorkam als die vielen jungen Kollegen.

Oliver Storz war dezent, dabei stets aufsässig. Er war ein Gentleman ganz alter Schule, der mittags mit seinem Stapel Zeitungen im Münchner Lokal Weinhaus Neuner wartete oder abends in der Bar des Hotels Vier Jahreszeiten. Die englische Garderobe (immer Manschetten, Seidentuch, Kaschmirpullover, erstklassige Schuhe) saß in beiläufiger Perfektion picobello, vor ihm lagen die Benson & Hedges, und wenn man ihm immer wieder mal, by the way, nahelegte, das Rauchen sein zu lassen, knurrte von gegenüber eine kleine, zornige, an sich selbst verzweifelnde Gemengelage über den Tisch: "Aber keinesfalls", "Nein, mein Lieber" und "Scheiße".

Scheiße? Na klar.

Oliver Storz war ein Intellektueller, aber einer, der den Boulevard kannte, vor allem das Leben, Lieben und Leiden auf den großen Boulevards.

Er war einer, der jedes Wort wägte, und der dabei die geschürzten Lippen der Feuilletonisten verachtete, über die er anlässlich der soundsovielten Debatte, die eine Zeitung schon wieder mit einer anderen Zeitung austrug, stöhnte: "Wenn's wenigstens mal Locken wären, was die auf ihren Glatzen drehen."

Verpflichtet zu "Raumschiff Orion"

Geboren wurde er 1929 als Sohn des Germanisten und Essayisten Gerhard Storz, der gemeinsam mit Dolf Sternberger und dem SZ-Redakteur Wilhelm Emanuel Süskind das Standardwerk "Das Wörterbuch des Unmenschen" über die Sprache der Nazis verfasste. Als Germanist, Romanist und Anglist absolvierte Oliver Storz sein Staatsexamen für den höheren Schuldienst. Bald schon aber arbeitete er zunächst als Kulturkritiker für die Stuttgarter Zeitung, ab 1960 als Dramaturg, Produzent und Autor für die Münchner Bavaria.

Die 1960er-Jahre waren eine unvergleichlich fruchtbare Zeit nicht nur für den deutschen Film, sondern auch für das Radio und das Fernsehen. Dass aus dem Intellektuellen Storz kein Philister wurde, dies verdankt sich auch seiner Prägung aus diesen Jahren, in denen er von 1966 an neben hoch ambitionierten Literaturverfilmungen eben auch die Serie Raumschiff Orion verantwortete - zwangsverpflichtet von der Bavaria, man muss ja Geld verdienen als Familienvater, und es war eine Freude bis zuletzt, Storz sehr laut darüber lachen zu hören, dass das aus Gründen der Geldnot mit Küchengeschirr ausgestattete Weltraum-Epos heute Kultstatus genießt.

Bezeichnend nun für einen wie ihn, den gründlichen, zweifelnden, wägenden Menschen Storz: Dass man in der Fülle seiner vielen bahnbrechenden Arbeiten für das deutsche Fernsehen als Autor und Regisseur besonders epochale Beispiele gerade im Spätwerk findet!

Dies beginnt 1995 mit der meisterhaften deutsch-französischen Co-Produktion Drei Tage im April - über einen Zug, vollgestopft mit Häftlingen aus einem Konzentrationslager, der nach einem Lokomotivschaden in einem schwäbischen Dorf zurückbleibt. Da stehen sie, die Insassen, wie Vieh im Wagon. Und das Dorf muss sich verhalten.

Diese Ungeheuerlichkeit kann man nur lakonisch erzählen. Die Lakonie aber war einem Romantiker wie ihm nicht angeboren - er hat sie sich vielmehr Mal um Mal und unter Qualen stets aufs Neue regelrecht auferlegt. So wurde er zu einem großen Erzähler deutscher Gegenwart: mit schneidend leiser Stimme in einer lauten Welt. In einem Stück für die SZ zitierte er seinen Hausmeister aus schwäbischen Kindertagen. Der hatte gerade eine Rede Adolf Hitlers im Volksempfänger über sich ergehen lassen. Danach sagte der Mann zum kleinen Oliver nur diesen einen Satz: "Wer so schreit, der kann net recht han."

Erinnerungen zwischen Krieg und Jazz

Von Ausnahmen wie eben Im Schatten der Macht über den Sturz Willy Brandts abgesehen, ist Storz dann in seinen letzten Jahren wie gefesselt vom Stoff seiner Jugend. Immer wieder kehrt er in seinen Filmen zurück in die letzten Tage des Krieges und die ersten Nachkriegsjahre. So in der schönen Tragikomödie Drei Schwestern made in Germany (2005), auch in seinem letzten Film, dem Drama Die Frau, die im Wald verschwand (2009) - ein Sittengemälde aus den 50er Jahren, zum letzten Mal glänzt hier sein von ihm akribisch geführtes Herzensensemble aus Karoline Eichhorn, Stefan Kurt und Matthias Brandt.

Aufgeschrieben hat Oliver Storz seine Jugenderinnerungen zwischen Krieg und Jazz in dem 2008 verlegten, viel gelobten Roman Die Freibadclique. Für die Verlegerin Tanja Graf saß er an einem neuen Band - von dem bleibt nun ein Fragment aus 40 Seiten. Am Mittwoch vergangener Woche ist der leise, aber ruhelose Oliver Storz im Alter von 82 Jahren nach einer Krankheit in aller Ruhe daheim eingeschlafen. So erzählt es seine Familie, und hätte er vorher von einem solchen Tod gewusst, wäre ihm das ein Trost gewesen, den er von höherer Stelle nicht erwartete. Zum Glauben an Gott fehle ihm, sagte er mal, das Talent; eine wieder mal charmante Formulierung, die er wählte, um die, die glauben, nicht vor den Kopf zu stoßen.

Es bleiben, natürlich, zeitlose Texte und Filme. Uns hier bleiben noch Erinnerungen. Zum Beispiel an die Stimme am Telefon, die eine so wichtige Stille herstellte. Sie gehörte einem Mann, der uns zum Freund wurde. Sein letzter Text für die SZ, erschienen Ende August 2009, beschrieb den September 1939.

"Der Spätsommer trödelte, das Badewetter hielt sich, hingegen überschlugen sich die Siege in Polen - der Großdeutsche Rundfunk kam mit den Sondermeldungen kaum nach. In meinem Herzen starb Winnetou, hätte ein deutscher Junge weinen dürfen, hätte ich geweint."

Hört man ihn da nicht? Chet Baker, wie er seinen einen, entscheidenden Ton spielt? Da hatten wir ihn also nochmal; den heiteren, traurigen, punktgenauen Oliver Storz. Mann, der fehlt.

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