Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Helmut Kohl:"Führungswillen, wie man ihn heute vergebens sucht"

Die internationalen Medien zollen dem verstorbenen Altkanzler Kohl Respekt. Aus Deutschland kommen auch kritische Stimmen - und ein Titelblatt sorgt für Empörung.

Nach dem Tod des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl wird in der internationalen Presse insbesondere Kohls Verdienst um die deutsche Wiedervereinigung hervorgehoben. "Mit seiner Diplomatie, Entschlossenheit und Bereitschaft viel einzusetzen, um die Trennung seines Landes zu beenden, kann an Kohl als Gigant einer Epoche erinnert werden, der Europas politische Architektur erneuert, die Minenfelder und Wachtürme des Eisernen Vorhangs abgebaut und die bewaffnete Konfrontation zwischen Ost und West ersetzt hat durch eine andauernde, oft herausfordernde Koexistenz zwischen ehemaligen Feinden", schreibt die New York Times.

Die britische Zeitung Guardian vergleicht Kohl mit Otto von Bismarck. "Kohl war ein katholischer Rheinländer, dem die Einigung Europas ebenso am Herzen lag wie die Wiedervereinigung Deutschlands. (...) Kohl mag sich von Bismarck so sehr unterschieden haben wie Bonn von Berlin. Aber er war ebenso sehr ein Eiserner Kanzler, eisern hinsichtlich seiner Ausdauer, unerschütterlich in seinem Selbstvertrauen. (...) Es war Kohl, nicht Schmidt, der bereitstand, als der Zug zur deutschen Wiedervereinigung vorbeirollte."

Die Wiedervereinigung sei ein komplexes Unterfangen gewesen, meint die belgische Zeitung De Standaard. "Der Fall der Mauer im November 1989 war nicht allein der Anfang vom Ende der DDR, sondern auch des großen Sowjetreichs.(...) Helmut Kohl, der Mann der deutschen Einheit, der das vereinte Deutschland in Europa verankert hatte, vermisste bei vielen der heutigen europäischen Spitzenpolitiker europäischen Idealismus. Zu seinen letzten Worten gehörte die Mahnung, dass viel auf dem Spiel stehe, es gehe um unsere Zukunft und "unsere Zukunft heißt Europa".

Die italienische Zeitung La Repubblica lobt den Kanzler der Einheit beinahe euphorisch und blickt gleichzeitig auf Angela Merkel. "Der große Anführer der Christdemokraten, (...) war ein politisches Genie. (...) Sollte Merkel am Ende ihres Mandats wieder die Wahlen gewinnen, macht sie den Rekord der längsten Kanzlerschaft zunichte. Aber es wird schwierig sein, dass sie es schafft, Deutschland einen weiteren Moment purer Euphorie und glücklicher Unbeschwertheit zu schenken, wie sie das Land in der Einheit gefunden hatte."

Und auch aus der Schweiz kommen lobende Worte. In der Neuen Zürcher Zeitung heißt es zum Vermächtnis von Helmut Kohl: "Natürlich lässt sich an einzelnen Entscheidungen von Spitzenpolitikern immer herummäkeln. Kohl machte dabei keine Ausnahme. Die wahre Größe von Staatsmännern zeigt sich, wenn sie im richtigen Augenblick das Richtige tun. Als am 9. November 1989 in Berlin die Mauer fiel, wusste Kohl intuitiv, was die Stunde geschlagen hatte. Er sah die Chance und ergriff sie. Er, dem immer nachgesagt worden war, Probleme auszusitzen, ging hohe Risiken ein."

Die französische Zeitung L'Alsace erinnert an Kohls Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft, die ihren Ausdruck fand in der Männerfreundschaft zwischen dem Altkanzler und dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand. "Wie seine Vorgänger förderte der Kanzler die deutsch-französische Freundschaft. Das Bild mit Mitterrand und Kohl, Hand in Hand vor dem Beinhaus in Donaumont 1984, ging in die Geschichtsbücher ein. Wer zehn Jahre später an dem deutsch-französischen Gipfel in Mülhausen teilgenommen hat, erinnert sich an die herzlichen Beziehungen zwischen beiden Staatsmännern."

Neben viel Lob wird in den deutschen Medien auch immer wieder auf die dunklen Flecken in Kohls Biographie verwiesen. Für Empörung im Netz sorgte etwa das Titelbild der tageszeitung. Grabschmuck ist unter den Worten "Blühende Landschaften" zu sehen. Im Wahlkampf 1990 beschrieb Kohl so die Entwicklungschancen der neuen Bundesländer. Zudem verweist das Blatt darauf, dass ihm insbesondere in den letzten Lebensjahren einiges entglitten ist: "Ein leichtes Alter ist Helmut Kohl, der jetzt mit 87 Jahren gestorben ist, nicht vergönnt gewesen. Ausgerechnet der Mann, dessen unangefochten mächtige Position ihm einst den Beinamen "der ewige Kanzler" eingetragen hatte, musste in den letzten Lebensjahren erleben, was Vergänglichkeit bedeutet. Vieles ist ihm entglitten - auch die Deutungshoheit über sein eigenes Leben. Das dürfte ihn, der auch in den letzten Jahren noch bei klarem Verstand war, tief ­geschmerzt haben."

In eine ähnliche Richtung zielt der Kommentar des Bonner General-Anzeigers. So sei es die Tragik Helmut Kohls, dass immer mehr über seine Fehler gesprochen wurde als über seine Leistungen. "Ihm ist es nicht wie Helmut Schmidt gelungen, nach dem Ende der Amtszeit den Nachruhm zu mehren und am eigenen Denkmal zu arbeiten. Die Parteispendenaffäre zog die harte Linie, und Kohl war nicht in der Lage, diesen Schaden zu beheben, zeigte sie ihn doch als selbstherrlichen Patriarchen, dem Gesetze wenig galten. (...) Kohl hat es verdient, dass sich der Blickwinkel wandelt und sich der graue Schleier hebt. Er sollte faire Richter bekommen, frei von den Sympathien und Antipathien, die ihn zu Lebzeiten verfolgt haben. Kohl hat es verdient. Er war ein Glück für Deutschland", schreibt die Zeitung.

Die heutigen Politker könnten sich ein Vorbild an Helmut Kohl nehmen, meint die Hannoversche Allgemeine Zeitung. "Als es um die deutsche Einheit ging und später um Europa, zeigte Helmut Kohl einen Führungswillen, wie man ihn heute weltweit vergebens sucht. Oft traten gutmeinende Berater auf ihn zu und rieten schüchtern, etwas Tempo rauszunehmen. Da geriet Kohl ins Brüllen: Europa werde jetzt geschaffen, 'nicht irgendwann'."

Trotz seiner großen Verdienste fehlt Kohl der krönenden Abschluss, meint der Mannheimer Morgen. "Dass Kohl 1998 die Wahl verlor, beruht auf den typischen Fehlern eines Mannes, der sich für unschlagbar hielt, zu keinen Reformen mehr aufraffte und es verpasste, einem Jüngeren Platz zu machen. Die CDU war Kohls Familie, er über Jahrzehnte ihr Übervater. Die von ihm mit der Spendenaffäre verursachte Distanz zur CDU hat ihn getroffen. Für einen Staatsmann seiner Größe unpassend, hat er sich in dem Skandal dennoch beharrlich über Recht und Gesetz hinweggesetzt. Darüber steht jedoch die Leistung eines Politikers, der Deutschland und Europa entscheidend geprägt hat."

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