Zum Tod von Erika Berger:Die Frau, die das Tabu brach

Erika Berger

Erika Berger, die Sex-Beraterin: Ihre Mutter erzählte ihr einst, sie könne vom Küssen schwanger werden.

(Foto: dpa)

Erika Berger redete im deutschen Fernsehen über Sex. Damit wurde sie zu einer Aufklärerin der Nation und brachte den Voyeurismus ins TV. Jetzt ist sie mit 76 Jahren gestorben.

Nachruf von Julian Dörr

Ein Penis ist ein Penis ist ein Penis. Das war im deutschen Fernsehen vor Erika Berger nicht selbstverständlich. Im Februar 1987 startete mit Eine Chance für die Liebe eine Livesendung, die es so im TV noch nicht gegeben hatte. Es waren die Achtziger, das noch junge Privatfernsehen hatte gerade den Zusammenhang von Sex und Quote entdeckt. Und bei RTL Plus riefen Männer und Frauen aus der ganzen Bundesrepublik an, um mit Moderatorin Erika Berger über Oralsex, Affären und Erektionsprobleme zu sprechen.

Es waren anderen Zeiten damals, die Menschen redeten im Fernsehen noch mehr über Sex, als dass sie ihn dort zu sehen bekamen. Die Privaten experimentierten mit Tabus, aber die TV-Landschaft war noch prüde und grau. Erika Berger und Eine Chance für die Liebe änderten das. Hier war alles fleischeslustrot. Das rote Licht im Studio, das rote Sofa, die roten Rosen auf dem Tisch. Und vor allem: das rote Telefon. Über diesen Apparat lief der erste dirty talk der deutschen Fernsehgeschichte. Erika Berger war kein Oswald Kolle, und dennoch war sie irgendwie auch eine Aufklärerin der Nation. Wo Kolle einst den Mief aus den Wirtschaftswunderschlafzimmern entlüftet hatte, trimmte Berger die Nation in den hedonistischen Spätachtzigern auf Leistung im Bett. G-Punkt, Orgasmus, Flaute in der Kiste? Lass uns darüber reden.

Als Jugendliche glaubte Berger, sie könne vom Küssen schwanger werden

Das brachte Quote. Die Nation war erregt - vor allem die Sittenwächter. Professionelle Sexualwissenschaftler waren verärgert von der selbsternannten Beraterin, Berger wurde vorgeworfen "Propaganda für den Seitensprung" zu betreiben. 1989 musste sie einer bayerischen Medien-Kommission ihre Programminhalte erklären. Drei Jahre später ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts der Aufforderung zu einer Straftat. Da moderierte Berger schon das Nachfolgeformat Der flotte Dreier und rief dort angeblich zu exhibitionistischen Handlungen auf.

Bei allen Tabu-Brüchen - eine abgebrühte Quoten-Jägerin war Erika Berger nie. Einmal beichtete ihr ein Anrufer live auf Sendung, dass er jetzt mit ihr schlafen wolle. Die Kameramänner glotzten, Berger erstarrte. Und legte einfach auf. Mit ihren langen, in schwarzen Strumpfhosen steckenden Beinen war Berger selbst ein Sexsymbol geworden, das die Fantasie manches Mannes anregte. Dabei verlief Erika Bergers Jugend alles andere als sexuell abenteuerlich und aufgeklärt.

Mit ihren konservativen Eltern konnte die gebürtige Münchnerin nicht über Sex reden. Ihre Mutter erzählte ihr, vom Küssen könne sie schwanger werden. Mit 20 Jahren war sie es dann wirklich - ungewollt. Die junge Erika musste heiraten. Ein zweites Kind folgte. Die Ehe ging in die Brüche, aber Erika Bergers journalistische Karriere begann: Mitte der Siebziger begann sie ein Volontariat bei der Bild, arbeitete erst als Polizeireporterin, dann als Fachfrau für Klatsch, Tratsch und Intimes.

1987 brachte Berger den Sextalk ins Fernsehen. Und mit ihm den Voyeurismus, der all die Reality-Formate hervorbrachte, die heute die Sendeplätze füllen: von Castingshows über Lebensratgeber bis hin zu gläsernen Promis. Für Berger selbst war nur noch wenig Platz in diesem Fernsehen, sie beschäftigte sich mit Horoskopen und Astrologie und tauchte später in der großen Überwachungsshow Big Brother als Expertin in Liebesdingen auf - der Voyeurismus im TV hatte seinen Höhepunkt erreicht. Ihr großes Thema blieb die Sexualität, was ihr den zweifelhaften Titel der "Sexpertin" einbrachte. Doch Erika Berger stand für mehr alles platten Tabu-Talk. Im Alter schrieb sie einen Ratgeber über "Liebe, Sex und Leidenschaft in reifen Jahren".

2013 kehrte Berger als Moderatorin zurück ins Fernsehen, in der Sat-1-Show Flirten, Daten, Lieben half sie den Kandidaten dabei, offener und mutiger mit dem Thema Sex umzugehen. Die Sendung wurde nach wenigen Folgen eingestellt. Sexualität im TV war kein Tabu mehr. Das lag auch an Erika Berger. Nun ist die Aufklärerin mit dem roten Telefon im Alter von 76 Jahren in Köln gestorben.

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