Zukunft von Obdachlosenzeitungen:Digitales Straßenrennen

Obdachlosenzeitungen

Ein Verkäufer der Ur-Obdachlosenzeitung The Big Issue macht in London auf sich aufmerksam.

(Foto: Justin Tallis/AFP)

John Bird war 1991 der erste, der eine Obdachlosenzeitung gründete. Das Konzept seines Londoner Blattes "The Big Issue" wurde unendlich oft kopiert. Auf einer Münchner Konferenz gefällt er sich in der Rolle des Paten, doch bei der Suche nach einer digitalen Zukunft für dieses grundanaloge Geschäftsmodell wirkt auch Bird ratlos.

Von Katharina Riehl

Der Pate trägt ein schwarzes Hemd zu dunklen Ledersandalen, der Pate hat eine Vision und wenn er darüber spricht, dann spricht im Saal sonst keiner mehr. Denn nach einer Vision suchen sie hier alle.

Es ist der zweite Tag der INSP-Konferenz, einer Konferenz für Straßenzeitungen aus der ganzen Welt. Blätter also, die von Obdachlosen auf der Straße verkauft werden, um ihnen ein Einkommen und eine Aufgabe zu verschaffen. 120 solche Zeitungen aus 41 Ländern sind bei INSP organisiert, Zeitungsmacher aus Europa, aus Nord- und aus Südamerika, aus Australien oder Taiwan sind nach München gekommen. Um sich einer Frage zu stellen, die vielen von ihnen noch sehr fern erscheint und doch eines Tages auch für sie alles entscheiden könnte: Wie soll eine Zeitung, deren einzige Bestimmung es im Grunde ist, von einem Obdachlosen persönlich an einen Käufer übergeben zu werden, mit der Digitalisierung umgehen?

Wacklige Ideen statt Vision

Der Mann, von dem sich vor allem die Jüngeren im Raum Antworten erwarten, der sich sichtlich gefällt in der Rolle des Paten, am Rand und doch über der Veranstaltung, heißt John Bird. Sein 15-Minuten-Referat ist als einziger Vortrag in drei Tagen mit einem Foto im Programmheft angekündigt. Auf John Bird, der 1991 in London mit Hilfe des Geldes der Firma Body Shop The Big Issue gründete, geht hier alles zurück. Das Konzept, dass professionelle Journalisten eine Zeitung machen, die dann von Obdachlosen verkauft wird, hatte Bird zuvor in den USA entdeckt. Später wurde es in mehr als 40 Länder übernommen. Doch seine Vision einer digitalen Zukunft, um die es ja auch ständig in den großen Verlagen geht, ist noch nicht viel mehr als eine von vielen wackligen Ideen.

John Bird

John Bird ist der Pate aller Obdachlosenzeitungen. 1991 gründete er The Big Issue.

(Foto: OH)

Man gerät, das zeigt die Konferenz, bei der Zukunftssuche schnell an die Frage nach dem Selbstverständnis der Macher, und das liegt zum Teil so weit auseinander wie Taiwan und Bremen. Suchen sich die Leser einen Verkäufer am Straßenrand, weil sie jede Woche ihre Zeitung lesen wollen? Dann müsste man diese Inhalte doch auch digital zu Geld machen können. Oder wird die Zeitung hauptsächlich deshalb gekauft, weil man dem Verkäufer um die Ecke etwas Gutes tun will? Dann könnten die Obdachlosen am U-Bahnhof im Falle des Zeitungstodes vielleicht ja auch Zahnbürsten verkaufen. Und welche Themen sollen in so einer Zeitung vorkommen?

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