Zukunft Presse-Grosse:Gleichberechtigung am Kiosk in Gefahr

Durch ein Hamburger Urteil zu einem Fall um den Bauer Verlag überlässt der Bundesgerichtshof die Zukunft des Presse-Grosso den Verlagen weitgehend selbst. Nun könnte das System am Ende sein. Damit wären viele kleine Verlage bedroht.

Jens Schneider

Der Elmshorner Kaufmann Alexander Grade wird sein Geschäft aufgeben. "Ich bin mürbe gemacht worden", sagt er. "Der Druck wurde zu groß." Grade ist seit Jahrzehnten Grossist für Presse im Norden Hamburgs, er hat das Unternehmen von seinem Vater übernommen.

Newspaper Kiosk

Gleichberechtigung am Kiosk: Das Urteil zum Presse-Grosso könnte die traditionelle Ordnung ins Wanken bringen.

(Foto: Getty Images)

Wie rund 70 andere Grossisten liefert er im Auftrag der Verlage Zeitschriften und Zeitungen an die 120.000 Einzelhändler in Deutschland. Das deutsche Grosso-System gilt europaweit als vorbildlich und als ein Garant der Pressefreiheit, weil die Grossisten unabhängig von der Macht der Verlage kleine Titel wie auch Bestseller gleich behandeln müssen. Nach diesem Ideal bekommen auch Newcomer und Außenseiter ihre Chance.

Wenn Grade über das Grosso spricht, klingt es nach einer Passion, Leidenschaft, die aber zuletzt vor allem Leiden war. Er hat sich im Auftrag seiner Grossisten-Kollegen auf einen Konflikt mit einem großen Verlag eingelassen. Jetzt hat er verloren. Am Montag hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Hamburger Bauer Verlag (Bravo, In Touch) dem Grossisten Grade den Vertrag für sein Gebiet im Jahr 2009 ohne Angabe von Gründen kündigen durfte. Seinerzeit beschloss Bauer, seine Produkte fortan von einem anderen Grossisten, seiner Hamburger Tochter PVN, ausliefern zu lassen. Grade ist mit seiner Klage dagegen auch in letzter Instanz gescheitert, und nicht nur er glaubt nun, dass diese Entscheidung das gesamte System des Pressevertriebs in Deutschland ins Wanken bringen könnte.

Nicht sofort, sondern über die nächsten Jahre. Schon wird in Verlagskreisen darüber geredet, dass bald die Politik mit einem Gesetz eingreifen könnte, um den bedrohten fairen Wettbewerb und damit die Pressefreiheit zu sichern. Denn befürchtet wird, dass nach diesem Urteil künftig ein großer Verlag - gemeint ist erst einmal vor allem Bauer - die Neutralität des Grosso-Systems zu seinen Gunsten aushebeln könnte. Es geht zum Beispiel um die besten Plätze in den Regalen und damit um die Wettbewerbsgleichheit. Grade selbst hat dafür ein plastisches Szenario: Man müsse sich nur vorstellen, dass ein großer Verlag an einen Grossisten herantritt und verlangt, dass seine Magazine immer vorn liegen und voll zu erkennen sind, also bestens präsentiert. Das würde bedeuten, dass die Produkte der anderen für den Käufer eben nicht zu sehen sind, und sich sicher schlechter verkaufen.

Damoklesschwert willkürlicher Kündigung

"Bereits die Kündigungsandrohung könnte den Grossisten gefügig machen", fürchtet Grade. Denn der könne ja nicht auf den Umsatz verzichten. "Er kann sich überlegen, ob er in Ehren sterben möchte oder lieber folgen. Das aber ginge zu Lasten vor allem der kleineren Verlage." Langfristig wäre, so Grade, damit das Grosso nicht mehr neutral. Frank Nolte, der Chef des Grosso-Verbands, spricht von einem "Damoklesschwert der willkürlichen Kündigung". Insbesondere Großverlage könnten mit ihrer Marktstellung erheblichen Druck auf jeden einzelnen ausüben.

Was für die Grossisten unangenehm und wegen der Einbußen sogar existenzbedrohend sein könnte, wird als Szenario auch kleinere Verlage beunruhigen. Einzelne warnen schon lange vor dieser Entwicklung. Allerdings steht die Branche jetzt nicht vor dem großen Crash von einem Tag auf den anderen. Nichts wird sich sofort verändern - schon allein, weil die große Mehrheit der Verlage zumindest grundsätzlich nichts ändern will.

Außer dem Bauer Verlag haben sich gerade auch alle großen Zeitschriften-Verlage zum Grosso-System und zu seinen Grundsätzen bekannt und neue Verträge bis zum Jahr 2018 abgeschlossen. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage verlangt man von den Grossisten mehr Effizienz, aber niemand denkt derzeit daran, Verträge ohne nähere Gründe zu kündigen. Sie alle haben sich noch einmal zu einer gemeinsamen Erklärung aus dem Jahr 2004 bekannt, die eine Kündigung von Grossisten nur bei zu begründenden nachhaltigen Leistungsmängeln oder anderen sachlich gerechtfertigten Gründen vorsieht.

Auch Bauer gibt sich moderat. Gerald Mai, Justiziar des Verlags, sieht durch das Urteil "keineswegs das System an sich in Frage gestellt". Die Bauer-Group habe auch nie das Ziel gehabt, das Grosso-System zu verlassen oder es gar zu zerstören. Er legt Wert auf die Feststellung, dass der im Gebiet von Grade eingesetzte Grossist PVN zwar zu hundert Prozent eine Bauer-Tochter sei, aber dennoch als neutraler Grossist arbeite und etwa in Hamburg von anderen Verlagen hoch geschätzt werde. Und Bauer plane jetzt auch nicht sofort die nächsten Kündigungen. "Für uns ist die Kündigung eines Grossisten nur die ultima ratio", sagt Mai. "Wir werden das Mittel nur einsetzen, wenn ein Grossist auch nach vielen Gesprächen seine Arbeit nicht besser macht."

Die Grossisten wird das kaum beruhigen, auch nicht die kleinen Verlage. Zu spüren ist die Angst vor einem schleichenden Prozess: Eine Drohung mit der Kündigung, die ihre Wirkung erreicht hat, wird ja selten öffentlich - und doch würde jede einzelne den fairen Wettbewerb langsam aushöhlen. Alexander Grade sagt, dass ihm auch andere Groß-Verlage Druck gemacht hätten, nachdem Bauer ihm kündigte. Schon deshalb habe er bereits vor dem Urteil den Verkauf seiner Firma an Grosso-Kollegen ausgehandelt.

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