Zu Besuch bei Florian Silbereisen:Arbeit am offenen Herzen

Das große Fest der Besten

Gewinnbringend: Florian Silbereisen und Andrea Berg im Duett

(Foto: dpa)

Andrea Berg ist unfassbar erfolgreich, Helene Fischer schlägt alle Rekorde - und Florian Silbereisen bekommt kübelweise Fanpost. Was ist das Geheimnis dieser merkwürdigen Volksmusik-TV-Szene? Kann man das wirklich gut finden? Ein Besuch beim "Großen Fest der Besten".

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Schauspielerin Nora Tschirner, so ist es zumindest überliefert, soll einst über Florian Silbereisen gesagt haben, dass sie es hasse, ihn kennengelernt zu haben. Sie würde lieber weiterhin denken, der Volksmusik-TV-Moderator sei ein furchtbarer Typ, der hinter der Bühne kokse und sich mit brasilianischen Prostituierten vergnüge. Aber das sei nicht der Fall. Er sei einfach nur nett.

Es steht zu befürchten, dass es wirklich so ist. Wenn man im Velodrom in Berlin in der ersten Reihe sitzt, während auf einer Bühne zwischen Delphin-Luftballons und aufgedrehten TV-Balett-Tänzern in Zirkuskostümen erst Andrea Berg im zu kurzen Glitzerfummel und dann auch noch DJ Bobo mitsamt Ehefrau singend und tanzend etwas tun, das unfassbarerweise den Rest des Saals in ekstaseähnliche Verzückungen versetzt, dann wünscht man sich nicht nur, dass das Fernsehen nie geboren worden wäre. Man wünscht sich vor allem, dass man nie freundlicherweise in die erste Reihe gesetzt worden wäre, um als Berichterstatter alles noch besser sehen zu können. Weil man nicht dabei gefilmt werden möchte, wie man dabei guckt. Weil das alles so unfassbar kitschig ist. Und so wahnsinnig schmalzig.

Erste Überraschung: Silbereisen wirkt sehr angenehm

Das Problem ist aber: Abseits der Bühne, wo all diese Menschen das tun, was sie offenbar tun müssen, um ihr Publikum zu verzaubern und sehr viel Geld zu verdienen, Heino und Howard Carpendale und Beatrice Egli und Ross Antony und all diese Gestalten, sobald sie sich also umdrehen und wieder Privatmenschen sind, sobald die Kamera gerade nicht auf sie gerichtet ist und die Show Pause hat, abseits dieses ganzen überladenen Trubels können viele dieser Protagonisten erstaunlich angenehm sein. Silbereisen ist so ein Fall.

Kleiner als gedacht sind Fernsehmenschen fast immer. Aber so viel symphatischer als gedacht - das muss man erst mal schaffen. Die 28-jährige Sängerin Helene Fischer kommt schon auf der Bühne - trotz knallrotem Ganzkörperglitzerfummel, den sie gefühlt schon zum zehnten Mal bei einem TV-Auftritt trägt - erstaunlich angenehm rüber. Aber Silbereisen, immer angestrengt volkstümelnd, dem man über den Bildschirm nie richtig abnimmt, dass er das, was er da moderiert, wirklich ernst meint, der soll ansprechend sein?

Offenbar ist es so. Sowohl im Umgang mit seinen Mitarbeitern als auch in den kurzen Drehpausen als auch auf der Aftershow-Party: Der Moderator wirkt ausgesprochen entspannt, locker, freundlich. Ein 32-jähriger Passauer, der zufällig nicht auf Rock oder Elektro steht, und aus dieser kleinen Besonderheit sehr erfolgreich Kapital schlägt und einer ganzen Menge älterer Leute eine Riesengaudi bereitet. Seine Sendungen gehören zu den erfolgreichsten, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen derzeit zu bieten hat.

Zweite Überraschung: Die Produzenten sind vernünftige Entertainment-Profis

Das ist die erste verblüffende Erkenntnis an diesem Abend. Die zweite lautet: Selbst die Macher hinter diesem Phänomen sind erstens Menschen und zweitens gar nicht unangenehm. Wenn man Michael Jürgens, 45, gegenübersitzt, der Das große Fest der Besten produziert und damit Volksmusik-TV-Stars wie Silbereisen, Fischer und viele andere dazu gemacht hat, was sie heute sind, dann beginnt man zu verstehen, dass da ein Mann auch nur seinen Job macht. Und das unter den gegebenen Umständen sogar gut. Und dass er es tatsächlich geschafft hat, die Szene zu verjüngen und die klassischen Regeln des Entertainments auf die früher allzu verstaubte Volksmusik-Szene anzuwenden. "Heute kopieren uns die, die uns früher kritisiert haben", sagt Jürgens. Und wirkt dabei kein Stück überheblich.

Das Geheimnis von Helene Fischer und Andrea Berg

Eine Helene Fischer ist heute kaum noch von einem normalen Popsternchen zu unterscheiden. Nur dass sie eben auf Deutsch singt. Und die Texte eben doch noch etwas schwülstiger sind. Und als Jürgens für seine Show einen Moderator mit echten Entertainer-Qualitäten suchte, da sagte ihm damals Rudi Carrell, dass er keinen finden würde. Weil die Zeit der großen TV-Entertainer vorbei sei, es gebe niemanden mehr, der so etwas wirklich könne. Und dann kam Silbereisen, ein 22-jähriger Jungspund. Die Kritiker verissen ihn, aber die Volksmusik-Fans hatten von Anfang an einen Narren an ihm gefressen. Und Rudi Carrell? Rief bei Jürgens an und sagte, dass er sich wohl geirrt habe.

Dritte Überraschung: Das Publikum schafft sich seine eigene Fernsehfamilie

Seitdem sind zehn Jahre vergangen, und die von Jürgens geförderte junge Schlagerszene im TV wird durch die Öffnung in Richtung Pop und Entertainment immer erfolgreicher. Andrea Berg etwa ("Atlantis", "Träume lügen nicht"), 47 Jahre alt, einst Arzthelferin und Funkemariechen, gilt mit mehr als zehn Millionen verkauften Tonträgern als erfolgreichste deutsche Sängerin. Warum? Auch dazu hat Jürgens eine Idee:

Die Fans hätten nun mal, so seine Überlegungen, "den Florian" von Anfang an begleitet. Man könne sich nicht vorstellen, wie viel Fanpost er ständig mit Durchhalteparolen erhalte. Offenbar sei es so, dass die Menschen vor den Bildschirmen sich so stark mit dem Moderator ihrer Lieblingssendungen identifizierten, dass sie ihn fast wie einen Sohn ansähen. Den sie persönlich mit aufgebaut haben. Und seitdem bei jeder neuen Sendung stolz sind, was aus dem Jungen geworden ist. Und was für eine tolle Freundin er mit der ausgebildeten Musicalsängerin Helene Fischer ("Zaubermond", "Farbenspiel") doch habe. Und die Andrea, die hat ja so viel Pech gehabt mit den Männern, wie sie singt, und jetzt darf sie endlich glücklich sein, ist das Publikum heilfroh. Auch - ein bisschen - dank der Zuschauer, die immer an sie geglaubt haben. Der Zuschauer schafft sich - mit freundlicher Unterstützung der Unterhaltungsindustrie - seine eigene Fernsehfamilie. Und will ganz genau (von der Presse) wissen, was diese abseits des Bildschirms noch so treibt. Er bleibt aber immer auf Seiten seiner "Stars". Berichtet die Presse gar Böses, umso mehr.

Das große Fest der Besten

Herzerwärmend: Helene Fischer bei Das große Fest der Besten

(Foto: dpa)

Das ist auch ein Grund, warum Florian Silbereisen und Helene Fischer in dieser Sendung so lange über die böse Presse reden. Was da nicht alles zusammen gedichtet werde, was die doch alles schreibe. Man wisse gar nicht mehr, ob man das wirklich sei, von dem da berichtet werde. Und so ist es ja auch. Und trotzdem leben beide von genau dieser Art der übersteigerten Aufmerksamkeit sehr gut.

Und dann ist da noch die Musik. Kann das denn nun wirklich jemand gut finden, was da stattfindet? Im Fernsehen sieht man oft junge blonde Mädchen in Dirndl, die unbedarft und fröhlich zu den Schlagerhits schunkeln. Mit denen würde man gerne reden. Was die wohl für ein Problem haben, dass sie diese Musik mögen, in ihrem Alter? Aber solche Mädchen im Dirndl sitzen zumindest an diesem Abend komischerweise gar nicht im Publikum. Eher sehr viel ältere Damen. Und Herren mit dumpfen Gesichtsausdrücken. Der Saal ist zum Bersten voll.

Vierte Überraschung: Es ist alles ganz einfach

In der zweiten Reihe sitzt ein engagierter Helene-Fischer-Fanclub aus Dresden. Während des harmlosen Gesprächs mit den freundlichen Mittfünfzigerinnen fällt einem dann auf: Na klar. Die stehen auf Schlager, weil sie ihn verstehen. Weil sie Englisch nie so richtig gelernt haben und die handelsübliche Pop- oder Rockmusik ihnen deshalb zu weit weg ist von ihrer eigenen Lebenswirklichkeit. Und weil sie trotzdem gerne ihre eigenen Emotionen in Liedern widergespiegelt hätten, zum Trost oder auch einfach nur zum Spaß. So einfach ist das. Man will es ja nur verstehen.

Auf Authentizität kommt es nicht an

Und deshalb singt Hansi Hinterseer nun ein Lied. Und wieder überkommt einen dieses grausige Gefühl. Kann das jemand wirklich und wahrhaftig gut finden, diesen übersteigerten Schmalz?

Es komme gar nicht so sehr auf Authentizität an in diesem Business, erklärt Jürgens später. Sondern eher auf die Verstärkung von Gefühlen. Deshalb treten hier auch die piratenartig verkleideten Musikanten von Santiano auf und singen ihren Titel "Wir sind uns treu":

"Kein Sturm, kein Streit / Kein Stolz und auch kein Leid / Zerreißt den Bund. Wir steh'n geschlossen / Bis zur letzten Stund'."

Da ist es schon wieder, dieses Gefühl, dass da doch wohl irgendetwas schief läuft. Treue bis zum Tod, die Reihen geschlossen - ist denn der Schoß wirklich fruchtbar noch, aus dem das kriecht?

So einfach ist das in dem Fall nicht. Erstens nimmt das Publikum ganz offensichtlich diese Assoziation gar nicht bewusst wahr. Zweitens sehnt es sich vorrangig und sehnlich danach, seinem Alltag zu entfliehen. Da kommen solche Texte und Auftritte, je überladener, desto besser, gerade recht. Und das ist wohl des Pudels Kern: Inmitten all der Durchschnittlichkeit und Widrigkeiten, die Menschen in ihrem Leben widerfahren, bietet sich ihnen hier eine Welt, all das zu vergessen und sich zumindest für ein paar ihnen unvergessliche Momente einer Traumwelt auszuliefern. Davon sind die Volksmusik-Fans ähnlich euphorisiert wie Fußballfans während des Spiels oder Robbie-Williams-Fans während des Kreischens.

Die Frage ist nur, ob die Welt wirklich so schlimm sein kann, dass man dieses Grauen braucht, um sie zu vergessen. Aber auch das ist wohl nicht nur eine Frage des Geschmacks. Es sind Sozialarbeiter der gepeinigten Herzen, die hier zugange sind. Vielleicht kann man ihnen dankbar dafür sein.

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