Süddeutsche Zeitung

Zensur:"Blockaden nehmen stark zu"

Sudan, Venezuela, Myanmar: Immer wieder sperren Regierungen das Internet oder Teile davon. Ein Gespräch mit Alp Toker, der mit seiner Organisation beobachtet, wo und warum.

Interview von Johannes Kuhn

Die Bewohner Sudans sind seit Anfang Juni offline, Äthiopien sperrte diesen Monat schon zweimal den Internetzugang für seine Bürger. Und in Myanmar hat das Kommunikationsministerium am vergangenen Freitag einer Million Menschen das Netz gekappt. Und am Dienstag kritisierte die Organisation Reporter ohne Grenzen eine Internetblockade während der Präsidentschaftswahlen in Mauretanien. Diese Länder sind nicht die einzigen: Regierungen weltweit machten in den vergangenen Monaten mit solch drastischen Maßnahmen Schlagzeilen. Alp Toker gehört zur Organisation Netblocks, die weltweit in Echtzeit Blockadeversuche identifiziert und analysiert.

SZ: Herr Toker, warum hören wir derzeit so viel von Internetabschaltungen?

Alp Toker: Internetblockaden nehmen 2019 stark zu - sowohl die vollständigen Blackouts, als auch die Sperrung von Social Media oder Chat-Apps.

Was wollen Regierungen so erreichen?

Meistens geht es darum, öffentliche politische Versammlungen zu verhindern. Als es im Sudan Anfang des Jahres Proteste gab, hat der damalige Machthaber Omar al-Baschir wochenlang Social Media blockieren lassen. Die aktuelle Militärregierung geht noch drastischer vor. Das Internet ist seit Kurzem quasi komplett lahmgelegt. Seitdem wurden Tötungen von Demonstrierenden in Khartum und aus der Region Darfur gemeldet. Das ganze Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen bleibt ohne Internet erst einmal verborgen. Aber die Motive sind unterschiedlich, die konkreten Umsetzungen ebenfalls.

Zum Beispiel?

Venezuela schaltet Social Media ab, wenn die Opposition auftritt. Dann funktionieren Youtube, Instagram oder Twitter für einige Minuten nicht. Das erinnert eher an klassische Zensur aus Radio- und TV-Zeiten. Benin und Malawi gingen dieses Jahr während der Wahlen offline. Simbabwe blockierte soziale Netzwerke, als Bürger gegen die hohen Benzinpreise demonstrierten. Gabun hatte während des Militärcoups Internetausfälle. Äthiopien hat diesen Monat während der Schulabschlussprüfungen die Verbindung zum Internet gekappt, angeblich um gegen Schummler vorzugehen. Algerien hat während der Abiturprüfungen dieses Jahr Social-Media-Plattformen blockiert. Und Sri Lanka hat dreimal innerhalb kurzer Zeit Social Media abgeschaltet, unter anderem, um nach einem Terroranschlag Übergriffe auf Minderheiten zu verhindern.

In Myanmar sieht die Lage derzeit ähnlich aus, ein Sprecher des Kommunikationsministeriums hat mitgeteilt, die Blockade im Bundesstaat Rakhine werde erst aufgehoben, "wenn Friede und Ordnung in der Region wieder hergestellt sind". Hat denn die präventive Abschaltung in Sri Lanka ihr Ziel erreicht?

Der Versuch ging nach hinten los. Desinformationen sickerten über die verbliebenen Kommunikationskanäle nach Sri Lanka. Auch Indonesien hat versucht, bei Protesten nach einer umstrittenen Wahl zu differenzieren. Die Bürger konnten etwa Twitter nutzen, aber keine Videos oder Fotos hochladen. Was aber zur Folge hatte, dass stattdessen alte Demofotos als neu kursierten und die Öffentlichkeit keine Möglichkeit hatte, Nachrichten zu verifizieren oder selbst Material hochzuladen.

Wie funktioniert eine Internetblockade technisch?

Der oft zitierte "Abschaltknopf" existiert nicht wirklich. In Wahrheit ist es für Regierungen oft ziemlich aufwendig. Sie müssen jeden einzelnen Internetanbieter kontaktieren und ihn überreden oder zwingen, seinen Kunden das Internet abzustellen. Das passiert dann, indem Rechenzentren heruntergefahren werden oder der Strom abgedreht wird. Anders als früher können Regierungen heute aber in der Regel dafür sorgen, dass sie und ihre Familie Zugang behalten, während die Opposition offline ist. Was sich noch geändert hat: Die Technik, um selektiv Inhalte zu blockieren, war vor zehn Jahren sehr teuer. Heute ist die Funktion ein normaler Teil der Internetinfrastruktur. Was richtigerweise den Zugang zu Kinderpornografie blockiert, kann auch legitime Meinungsäußerungen verhindern und die Opposition zensieren.

Das Argument gegen Internetabschaltungen lautete immer: Das schadet der Wirtschaft. Gilt das nicht mehr?

Die Wirtschaft leidet, aber den Preis zahlen ja die Bürger, die kleinen Geschäftsleute. Und wenn wir uns die Konsequenzen ansehen, stellen wir fest: Die internationale Gemeinschaft scheint nicht bereit, auf Internetblockaden von Regierungen zu reagieren.

Welche Gegenstrategien haben Oppositionelle und die Zivilgesellschaft entwickelt?

Erst einmal ist es ziemlich schwer, die Abschaltung sofort zu erkennen: Du gehst ja nicht sofort zu deinen Nachbarn und fragst nach, sondern denkst, dass dein Telefon oder Computer Probleme hat, vielleicht der Router kaputt ist. Deshalb dauert es oft erst einmal einige Stunden, bis sich das rumspricht. Wenn nur bestimmte Dienste blockiert sind, dann helfen VPNs.

Virtuelle private Netzwerke, wie wir sie zum Beispiel von Firmennetzen kennen.

Im Gegensatz dazu ist das bei einer kompletten Abschaltung schwieriger: So genannte Mesh-Netzwerke verbinden Wlan-Netzwerke miteinander, sie sind aber kompliziert und funktionieren nur auf kleinem Raum. Satellitentelefone? Langsam und unbezahlbar. Walkie-Talkie-Apps sind für schwierige äußere Umstände auch noch nicht geeignet. Meistens treffen sich deshalb die Menschen ganz klassisch, sie halten Versammlungen ab, schreiben mit, setzen ihre Pläne ohne digitale Instrumente um. Das kann den Zusammenhalt verbessern und eine Opposition stärken. Allerdings ist dieses Vorgehen eher weniger repräsentativ, weil Minderheiten keine Stimme erhalten und moderatere Aktive weniger Gehör finden.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2019
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