Ihre Vergangenheit wird die Washington Post nicht vergessen. "Die Wahrheit, egal wie schrecklich sie sein mag, ist auf lange Sicht nie so gefährlich wie eine Lüge", steht in schwarzen Lettern an einer Wand der neuen Zentrale der Zeitung. An diesem Satz des legendären Chefredakteurs Ben Bradlee, formuliert während der Enthüllung des Watergate-Skandals 1973, kommen die Redakteure ständig vorbei, wenn sie durch den Newsroom eilen.
Eher versteckt, auf einer blauen Wand vor der Design-Abteilung, ist, in weißen Buchstaben, ein anderer Satz angebracht: "Am gefährlichsten ist es, sich nicht zu verändern." Er stammt vom Multimilliardär Jeff Bezos, der die Post 2013 für 250 Millionen Dollar kaufte und nun in die Zukunft führt. Weil der Amazon-Gründer als Privatmann und Mäzen aktiv wurde, weiß nur er, wie viel seither investiert wurde. An Ressourcen mangelt es dem 51-Jährigen ebenso wenig wie an Ehrgeiz: Die 1877 gegründete Post soll das neue paper of record werden - die wichtigste Zeitung der USA.
Bezos' Motto für die Washington Post: "Am gefährlichsten ist es, sich nicht zu verändern."
(Foto: The Washington Post)An diesem Ziel arbeitet die Redaktion seit Mitte Dezember am One Franklin Square im Herzen der US-Hauptstadt. "Wenn die Leute ihre Nachrichten heute auf dem Smartphone konsumieren, müssen wir uns anpassen", fordert Chefredakteur Marty Baron. Im Klartext heißt das: Online kommt zuerst, Print-Traditionen verschwinden. "Die Titelseite ist mir ziemlich egal", sagt Politik-Ressortleiter Steve Ginsberg. Der 43-Jährige ermuntert sein Team, alle Kanäle wie Twitter, Instagram oder Periscope zu nutzen, um dort Leser zu erreichen. Ginsberg hat viel vor im Wahlkampfjahr 2016: "Wir wollen die Website sein, die der Welt die US-Politik erklärt."
Damit der Nachrichtenstrom im Online-Angebot und auf der Facebook-Seite der Post nie versiegt, ist die Nachrichtenzentrale, intern The Hub genannt, rund um die Uhr besetzt. Barons Wunsch war es auch, dass alle 700 Redakteure in der 7. und 8. Etage Platz finden und mittendrin Grafiker, Programmierer, Videojournalisten und Datenexperten sitzen. Kurze Wege und so viel Kooperation wie möglich - das ist wichtiger als eigene Büros.
Redakteure, Grafiker, Programmierer - alle an einem Platz, an The Hub.
(Foto: The Washington Post)Klagen über die engen Arbeitsnischen gebe es nicht, so Medienredakteur Paul Farhi. Als er 1988 zur Post kam, bebte das Gebäude in der 15th Street noch, wenn gegen 21 Uhr die Druckerpresse angestellt wurde. Farhi weiß, welchen Unterschied die Bezos-Millionen in der kriselnden Branche machen: Seit August 2013 wurden 50 Redakteure und Reporter sowie Dutzende Techniker eingestellt. 25 neue Software-Entwickler sind allein für interaktive Webinhalte zuständig. Farhis Bilanz: "Die Stimmung ist sehr gut, auch weil sich unser neuer Verleger inhaltlich nicht einmischt. Alle sehen, wie rasant es aufwärts geht."
Die Post verdient immer noch am meisten mit Printabos, wächst aber vor allem im Digitalen. Im November besuchten in den USA 72 Millionen unique visitors ihre Website - vor zweieinhalb Jahren lag der Wert bei 26 Millionen. Nun sind die Klick-Giganten von Buzzfeed und Huffington Post in Reichweite, doch noch wichtiger ist, dass die New York Times überholt wurde.