Zeitung:Total verknallt

Vor einem halben Jahr ist Georg Löwisch als Chefredakteur zur "taz" zurückgekehrt. Die Redaktion des linken Blatts galt damals als gespalten. Treffen mit einem Virtuosen der Umarmung.

Von Jens Schneider

Wenn einer frisch verliebt ist, überfällt ihn die Schwärmerei unwillkürlich. Eigentlich berichtet er doch nur, wie es sich rein sachlich verhält mit seiner Geliebten. Eigentlich erzählt Georg Löwisch nur, was die taz für eine Zeitung ist. Aber das ist eine mit leiser Stimme ausgesprochene Liebeserklärung, in vielen kleinen Abschnitten während des Interviews in einem Café an der Leipziger Straße. In einem Moment schwärmt Löwisch für die besondere Debattenkultur des Blatts, wenig später fällt ihm ein Text ein, der am Wochenende kommen wird. Er holt ihn spontan aus der Tasche, am liebsten würde er wohl einige schöne Stellen vorlesen. Und später zeigt er sich sogar noch über die Konferenzen der Redaktion erfreut, was nun wirklich weit geht.

Seit einem halben Jahr ist Georg Löwisch zurück bei dem linksalternativen Blatt, das sich in den vergangenen Jahren ein wenig verloren hatte. Die Stimmung in der Redaktion soll oft schlecht gewesen sein, die Chefredakteurin Ines Pohl war umstritten. Von Grabenkämpfen war die Rede, einer vergifteten Atmosphäre zwischen eher traditionalistischen Linken und den kreativen Wilden, die das Blatt leichter, frecher und schräger wollten, aber nicht gedurft hätten wie sie wollten. Im Juli kündigte Pohl nach sechs Jahren.

Im September fing Löwisch, 41, als ihr Nachfolger an, und aus der Redaktion ist zu hören, dass viele seinen Start als Aufbruch empfinden. Frisch verliebt? Tatsächlich ist der in Freiburg aufgewachsene Journalist ein Kind der taz. "taz-Kind" - das Wort fällt oft, wenn von ihm gesprochen wird, ein Kollege im Blatt nannte ihn auch "Comeback-Kid", weil er zurückgekehrt ist und schon damit ein Zeichen setzte.

Die Rückkehr entspricht nicht dem bewährten Muster. Jahrelang verließen viele Talente das im April 1979 in Berlin gegründete Blatt, sobald sie größeren Medien aufgefallen waren, die besser bezahlen. Löwisch hat bei der taz volontiert. Er war Redakteur der Reportageseite, Inlandsreporter und entwickelte dann die "sonntaz" mit, eine Beilage mit längeren Lesestücken. Er wurde ihr Ressortleiter und das Projekt ein Erfolg, die taz baute es später zu einer Wochenendausgabe aus. Vor drei Jahren wechselte Löwisch als Textchef zum Magazin Cicero. Er war gern dort, man schätzte sein Talent, sich für Texte und Themen zu begeistern und deutliche Kritik zu äußern, ohne zu verletzen. Aber der Kontakt zur taz blieb eng.

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Die taz baut an der Berliner Friedrichstraße ein neues Verlagshaus, Ende 2017 soll der Umzug sein. Alle 15 Minuten dokumentiert eine Webcam den Fortschritt auf der Baustelle.

(Foto: taz)

"Das war eine emotionale Entscheidung", sagt er über die Rückkehr. "Ich gehöre da hin. Ich gehöre da einfach hin." Er zählt verschiedene Stockwerke der Redaktion auf, in denen er gearbeitet hat. Und Kollegen, die das Blatt prägen, junge und alte, als gäbe es für ihn die angeblichen Lager im Blatt nicht. "Ich habe bei der taz mein Seepferdchen gemacht", sagt Löwisch, "und nun möchte ich eben auch das große Schwimmabzeichen probieren." Er hätte es sich, sagt er, "als Opa noch vorgeworfen, wenn ich Nein gesagt hätte."

Wofür aber gibt es das große Schwimmabzeichen, wie führt man eine Zeitung in die Zukunft in Zeiten des Internets? Löwisch wird von Kollegen als ein Virtuose der Umarmung beschrieben, der sich sehr wohl auf Machtspiele verstehe und mit Kalkül vorgehe. Das "Kind der taz", auch er selbst nennt sich so, würde niemanden durch Schärfe verprellen wollen.

Deshalb gehört erst einmal alles zur taz: die frechen Überschriften wie die scharfen Kommentare, aber dazu eben auch die langen Reportagen und Analysen, auf die nicht nur die taz zunehmend setzt, weil sie mehr bieten als das reine Nachrichtengeschäft, das es schnell und umsonst online gibt.

"Eine Besonderheit der taz ist die Vielfalt in der Redaktion", sagt Löwisch. "Was uns eint, ist eine linke Grundhaltung. Aber auf dieser Basis können wir um so differenzierter diskutieren." Er sieht die taz als Forum für ernsthafte, aber offene Debatten in einer Zeit, da im Land der Differenzierungsgrad nicht besonders hoch sei. "Das war schon in der Debatte um den Konflikt in der Ukraine so, und so erlebe ich auch die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingspolitik." Es gehe aber darum, "Wege aus der Schreispirale zu finden".

Georg Löwisch

Der Freiburger Georg Löwisch hat Journalismus und Afrikanistik studiert, bevor er zur taz kam. Dort, sagt er, habe er sein Seepferdchen gemacht. Jetzt folgt das große Schwimmabzeichen.

(Foto: Anja Weber/dpa)

Die taz sei in ihrer Geschichte immer spannend gewesen, wenn große Kontroversen ausgetragen wurden, sagt Löwisch und nennt die vielen Meinungen einen Luxus, der die Zeitung ausmache. "Auf viele linke Fragen und viele ökologische Fragen gibt es mehr als eine Antwort. Also gibt es bei uns ganz unterschiedliche Kommentare. Das sind wir halt, das ist die taz."Und so prägen oft Debatten das Blatt, die aufnehmen sollen, was die Leser umtreibt - bis hin zur Titelseite: Darf man, weil einem ihre Flüchtlingspolitik gefällt, plötzlich Angela Merkel mögen, sogar wählen? "Daran arbeiten wir uns seit Monaten mit großer Leidenschaft ab, weil uns selbst diese Frage beschäftigt." Die taz zeigte die Kanzlerin lächelnd, die Hände beruhigend zur Raute geformt, rundum schwirrten auf der Titelseite rote Herzchen. Und in jedem erklärte ein Autor, warum er sie wählen könnte, oder nicht - ein unverwechselbares Stück taz, das dabei mehr war als nur frech.

Bei seinem Start hat Löwisch erklärt, dass die taz die Zeitung der Zukunft sei, vom Untergang des Gedruckten ist im Gespräch keine Rede. Er denkt an die besonders treuen Leser, die wollen, dass Papier raschelt, wenn sie sich der taz widmen. Früher hat die taz häufiger in spektakulären Rettungsaktionen um Unterstützung in letzter Not geworben, damit sie nicht untergeht. Löwisch erinnert daran, dass die letzte Rettungsaktion Jahre zurückliegt. Die verkaufte Auflage liegt bei 52 000, am Wochenende bei gut 66 000. Die taz baut an der Berliner Friedrichstraße ein neues Verlagshaus, Ende 2017 soll der Umzug sein. Rund 22 Millionen Euro wird der Bau kosten. Im Projekt steckt viel Eigenkapital der Genossenschaft, aber auch Fördermittel des Landes. Ende Januar behauptete die rechtskonservative Junge Freiheit, die taz habe das Grundstück vom Land Berlin zum Schleuderpreis bekommen. Der taz-Verlag widerspricht entschieden.

Per Webcam dokumentiert die taz den Fortschritt auf der Baustelle. Alle 15 Minuten wird ein hochauflösendes Foto erstellt. Löwisch sagt: "Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, das für Berlin da gut hinpasst." Dieses Unternehmen soll auf verschiedenen Säulen stehen, von der Zeitung bis zum Shop, in dem Vogelhäuschen, Espresso oder auch Bioreiniger verkauft werden. Dabei dürfte es vor allem das Online-Angebot sein, bei dem die taz weiter wachsen muss. Sie hat eine Art freiwillige Bezahlschranke eingeführt, bei der Leser um einen Beitrag gebeten werden. Die Einnahmen steigen, liegen aber dem Verlag zufolge noch unter den Kosten. "Von der taz bist du begeistert und beseelt. Manchmal ärgerst du dich wahnsinnig und manchmal bist du ein bisschen in sie verknallt", sagt der Chefredakteur über sich und das Blatt. Es klingt wie ein Konzept.

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