ZDF-Zweiteiler "Landgericht":"Diese Rolle ist ein Geschenk für jede Schauspielerin"

Landgericht - Geschichte einer Familie (2)

Der jüdische Richter Richard Kornitzer (Ronald Zehrfeld) floh vor den Nazis nach Kuba, seine Frau Claire (Johanna Wokalek) blieb in Deutschland.

(Foto: ZDF/Walter Wehner)

Das ZDF hat aus Ursula Krechels Roman "Landgericht" einen beeindruckenden Zweiteiler über Nazi-Deutschland gemacht - mit Johanna Wokalek in einer ihrer seltenen Fernsehrollen.

Von Thomas Hahn

Johanna Wokalek schaut nachdenklich in den Raum hinein. Gerade ist die Pressevorführung des ZDF-Zweiteilers Landgericht zu Ende gegangen, in dem sie die weibliche Hauptrolle spielt: Claire, die christliche Ehefrau eines Juden, deren Familie der Nationalsozialismus zerreißt. Im kleinen Kino eines Hamburger Hotels hat die Geschichte ihre große, melancholische Kraft entfaltet: Abschied, Entfremdung, Wiederkehr. Beim anschließenden Podiumsgespräch hat Johanna Wokalek gesagt: "Mich berührt zutiefst, dass da eine Familie ist, die ein Leben lang darauf hofft, wieder zueinanderzufinden." Dann kamen die Fragen aus dem Plenum, ein paar Mäkeleien an Leistungen der Maske und anderen Kleinigkeiten, und es war, als zerplatze die andächtige Stimmung rund um den Film wie eine Seifenblase. Jetzt sitzt Johanna Wokalek beim Interview hinter geschlossener Tür. Was machen diese kleinen Fragen mit einer Schauspielerin, die mit großem Aufwand tiefgründige Figuren zum Leben erweckt?

Johanna Wokalek schaut also nachdenklich in den Raum. Sie wird noch leiser, als sie ohnehin schon ist. Dann sagt sie: "Ich kann solche Fragen nicht so gut verstehen, weil das für mich vollkommen irrelevant ist im Bezug zu dem, was ich erlebt habe mit den Charakteren der Geschichte."

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen steht ständig unter Schundverdacht. Es gibt so viel Zeit zu füllen, die Experimentierfreude ist begrenzt, und bei der Einschaltquote will man mit der privaten Konkurrenz und deren hemmungslosen Spaßprogrammen mithalten. Aber wenn dann doch mal eine Produktion durch den Nebel der Mittelmäßigkeit bricht und zeigt, dass Fernsehen immer noch das Zeug zur tieferen Inszenierung hat, weiß man gar nicht so genau, ob die Vertreter des Massengeschmacks diese Leistung wirklich zu würdigen wissen. Johanna Wokalek und auch der Regisseur Matthias Glasner haben jedenfalls nicht viel anfangen können mit der kleinen Stilkritik beim Pressetermin. Sie wissen, dass der Wert ihrer Arbeit nicht an Petitessen zu bemessen ist. Schon gar nicht beim Zweiteiler Landgericht, der die Verfilmung des gleichnamigen 492-Seiten-Romans von Ursula Krechel ist.

"So eine Frauenfigur liegt nicht jeden Tag vor einem", sagt die Schauspielerin

Einen sperrigen Stoff hat die Produktionsfirma UFA Fiction da für die ZDF-Primetime hergerichtet. Und auch wenn die Erzählung etwas gedrängt wirkt, weil sie drei statt zwei Teile vertragen hätte - sie ist ein gutes Stück unterhaltsamen Bildungsfernsehens, eine verdienstvolle Mischung aus eingängigem Drama und unaufdringlicher Seelenstudie. Der jüdische Richter Richard Kornitzer (Ronald Zehrfeld) und dessen Frau Claire schicken ihre beiden Kinder 1938 mit dem Kindertransporter nach England. Richard darf kurz darauf nach Kuba ausreisen, Claire Deutschland nicht verlassen, und so entspinnt sich ein Drama, das nicht nur den menschenverachtenden Wahnsinn der Nazizeit beleuchtet und das selten bearbeitete Thema Rückkehr aus dem Exil. Sondern das auch einen aktuellen Bezug aufweist: Wer den Film gesehen hat, versteht besser, was es bedeutet, wenn die Flucht vor Krieg und autoritärer Herrschaft Familien in verschiedene Richtungen auseinanderweht.

Wokalek arbeitet nicht auf Schund-Verdacht

Der Film lebt vom unaufdringlichen Spiel seiner Hauptdarsteller. Ronald Zehrfelds Richard plagt sich ab mit seinen Gefühlen, die er nicht immer im Zaum halten kann und vergisst im Eifer manchmal die Bedürfnisse seiner Familie. Johanna Wokaleks Claire hingegen ist kontrolliert, leidensfähig, in jedem Augenblick loyal - und letztlich das Opfer ihrer Selbstvergessenheit. Am Anfang sind die Kornitzers ein modernes, erfolgreiches Paar, am Ende von zehnjähriger Trennung gezeichnet und unfähig, sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen. Wie sich Liebe in Sprachlosigkeit verwandelt - auch davon erzählt Landgericht, und vor allem Johanna Wokalek, 41, macht sich um diese Erzählung verdient mit ihrer Fähigkeit, Gefühle in den Fesseln von Vernunft und Angst zu spielen. Als sie das Drehbuch von Heide Schwochow las, spürte sie gleich den Reiz der Claire. "Diese Rolle", sagt sie, "ist ein Geschenk für jede Schauspielerin."

So etwas gibt es also auch im deutschen Fernsehen: Rollen, die außergewöhnliches Talent erfordern, nicht nur das Abspulen von Stereotypen. Sehr oft läuft so etwas nicht vom Fließband der Unterhaltungsfabriken, Johanna Wokalek sagt selbst: "So eine Frauenfigur liegt nicht jeden Tag vor einem." So eine brauchte es aber wohl, um Johanna Wokalek ins ZDF zu bringen. Sie ist eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen, die es sich leisten kann, mit dem Fernsehen zu fremdeln: hochgelobt für ihre Kinorollen von Barfuß mit Til Schweiger bis hin zum Historiendrama Die Päpstin, anerkannt als Pendlerin zwischen Theaterbühne und Filmset.

Wie schafft man es, ständig jemand anders zu sein?

Ihr schmales Gesicht, das auf seltsame Art ebenmäßig und markant zugleich ist, ist zu einem Markenzeichen des deutschen Films geworden. Am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und als langjährige Burgschauspielerin hat sie das schwierige Handwerk studiert, die Seelen von Figuren sichtbar zu machen, und es über die Jahre mit persönlichen Erfahrungen veredelt. "Eine Claire", glaubt sie, "kann man nicht mit 25 spielen." Wokalek arbeitet nicht auf Schund-Verdacht. Wenn sie mitmacht, ist das ein Kompliment für eine Produktion.

Ihr Mitwirken also als Indiz für gutes Fernsehen? Sie selbst würde das so nie sagen. Johanna Wokalek ist keine Diva oder exaltierte Promi-Kuh, sondern eine ernsthafte Künstlerin, die im Gespräch Tauchgänge in die Seelentiefen ihrer Figuren unternimmt. Und die immer noch über das Wunder ihres Jobs staunt. Wie schafft man es, ständig jemand anders zu sein? Bei akribischem Studium von Roman und Drehbuch hat Johanna Wokalek ihre Claire kennengelernt. Und dann? "Ich muss als Schauspielerin meine innere Vision von einer Figur haben", sagt sie, "ich habe da ein Bild in mir, und das muss ich über meinen Körper, über meine Stimme lebendig machen. Aber wie? Was da genau passiert? Das ist ein Geheimnis. Auch für mich."

Aber wahr ist schon, dass profilierte Schauspieler Fernsehen nicht nur durch ihr Spiel groß machen. Sie sind auch glaubwürdige Zeugen für die Qualität eines Drehbuchs. Sie entdecken darin die Vielschichtigkeit einer Rolle, die ihr Talent herausfordert - oder eben nicht. Von ihnen geht der unausgesprochene Auftrag ans Fernsehen aus, nicht nur seichte Unterhaltung herzustellen. Wenn die Sender echte Schauspielkunst zeigen wollen, müssen sie Rollen anbieten, für die es echte Schauspielkunst braucht. Mit Landgericht ist in dieser Hinsicht ein schöner Erfolg gelungen. Johanna Wokalek hat sich bei der Arbeit daran nie gelangweilt.

Landgericht, ZDF, Montag und Mittwoch, jeweils um 20.15 Uhr.

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