Süddeutsche Zeitung

Medienkolumne "Unser Beitrag":Zweitverwertung

Das ZDF will innovativ sein. Und legt eine abgewickelte Serie mit einem neuen Titel auf.

Von David Denk

Für das ZDF wird der 6. November ein großer Tag, denn dann holt man auf dem Mainzer Lerchenberg Wetten, dass ..? für einen Abend aus der großen Mottenkiste. "Skurrile Wettideen, große Maschinen, clevere Kinder und Superstars" verspricht der Sender - mit anderen Worten: Nostalgie pur. Es ist der erklärte Wille der Macher, an die großen Zeiten anzuknüpfen, die allerdings, als Wetten, dass ..? Ende 2014 eingestellt wurde, auch schon einige Jahre zurücklagen. Einige Jahre und etliche Fremdscham-Momente mit Thomas Gottschalk und dessen Nachfolger Markus Lanz. Ob der 6. November auch für das ZDF-Publikum ein großer Tag wird, ist also noch nicht ausgemacht. Denn es ist durchaus möglich, dass das ZDF sein einstiges Quoten-Zugpferd mehr vermisst hat als die Zuschauer zu Hause.

Es ist müßig, zu spekulieren, wie lange das ZDF noch an Wetten dass ..? festgehalten hätte, wenn der schwere Unfall von Samuel Koch das Format nicht angezählt hätte. Fest steht aber: Leichtfertig trennt der Sender sich nicht von etablierten Formaten. So eines war auch Der Kommissar und das Meer. Genau 29 Mal ermittelte Walter Sittler als Robert Anders seit 2007 auf Gotland, bis das ZDF die Krimireihe im vergangenen Jahr absetzte. Einem verdienten Mitarbeiter das runde Dienstjubiläum zu verwehren ist nicht gerade die feine Mainzer Art, aber Frank Zervos, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/Serie, ließ nicht den leisesten Zweifel daran aufkommen, dass die Krimireihe einem höheren Ziel geopfert wurde. "Dieser Schritt ist uns nicht leichtgefallen", ließ er sich zitieren, "aber um Neues entwickeln zu können, müssen wir uns auch immer wieder von etablierten Reihen verabschieden." Bella Block, Kommissarin Heller, Unter Verdacht - so weit, so normal?

Neues entwickeln - das klingt verheißungsvoll, nach Aufbruch und Innovation. Zäsur statt weiter so. Allerdings offenbar nicht im Sprachgebrauch von Frank Zervos. Was einer der mächtigsten Männer im fiktionalen deutschen Fernsehen unter "Neues entwickeln" versteht, wurde Ende vergangener Woche publik: Aus der ZDF-Krimireihe Der Kommissar und das Meer mit Walter Sittler als Robert Anders wird die ZDF-Krimireihe Der Kommissar und der See mit ... genau... als... Sie ahnen es. Neu ist lediglich, dass Anders also Walter Sittler, inzwischen im Ruhestand, aus Gotland an den heimischen Bodensee zurückgekehrt ist und fortan dort ermittelt und nicht mehr in Schweden. Die Idee sei im Frühjahr 2021 gemeinsam Walter Sittler entstanden, heißt es vom ZDF. Bislang sind zwei Filme in Arbeit, produziert, wie auch schon Der Kommissar und das Meer, von der ZDF-Tochter Network Movie.

Durch den Siegeszug der Streamingdienste mit ihren großteils ambitionierten Erzählungen war in den vergangenen Jahren viel vom goldenen Zeitalter des Fernsehens die Rede - eine für den Zuschauer rundum erfreuliche Entwicklung, die viele Entscheider im öffentlich-rechtlichen System hierzulande nach wie vor verstörend unbeeindruckt lässt. Wer keine Abos verkaufen muss, sondern sich aus zuverlässig sprudelnden Gebührengeldern bedienen kann, sieht offenbar nicht die Notwendigkeit einer Erneuerung, die diesen Namen auch verdient. So wenig Ehrgeiz kann sich noch nicht mal ein Kommissar im Ruhestand am Bodensee erlauben.

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