Süddeutsche Zeitung

ZDF-Talk zur Parteienkrise:"Ist das noch bayerische Folklore oder schon Rassismus?"

Die ZDF-Talkshow von Maybrit Illner ist 15 Minuten lang herrlich sachlich. Danach geht es so intensiv um Scheuers "Senegalesen"-Spruch, dass der CSU-Generalsekretär schlechte Laune bekommt.

TV-Kritik von Ingrid Fuchs

Andreas Scheuer hat 15 Minuten und 30 Sekunden Ruhe. Dass es so lange dauert, bis dem CSU-Generalsekretär in der Talkrunde von Maybrit Illner sein inzwischen berüchtigtes Zitat begegnet, ist die zweite Überraschung des Abends. Vielleicht hat Scheuer schon kurz gehofft, er könne dieser Diskussion entkommen. Wobei, würde er das wollen?

Scheuer steht ja grundsätzlich zu seinen markigen Sprüchen, selbst wenn diese von anderen als verbale Aussetzer wahrgenommen werden, und wiederholt sie nimmermüde in jedes Mikrofon. Im Falle des "fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen", der "das Schlimmste" sei, "weil den wirst du nie wieder abschieben", hat Scheuer stets betont: Das sei eine bewusste Zuspitzung gewesen, aus dem Zusammenhang gerissen und gar nicht so gemeint. So wird er sich auch in dieser Talkshow äußern. Doch kurz zurück zur 16. Minute, beziehungsweise den Minuten davor.

In der ersten Viertelstunde dieser Sendung geht es, und das ist die erste Überraschung, sehr sachlich zu. Eigentlich beschäftigt sich die Runde mit der Frage "Wird Deutschland unregierbar? Gespaltenes Land, geschrumpfte Parteien". Dazu erzählt Wissenschaftler Oliver Decker über die sogenannte "Mitte-Studie" - und darf dabei sogar in Ruhe ausreden (hier die Studie als PDF sowie die Ergebnisse daraus).

"Gefühlt ist die Mitte immer da, wo die einzelnen Personen sind"

Der Wissenschaftler räumt mit dem "Irrglauben" auf, die Mitte, auf die besonders die Politik von SPD und CDU abzielt, sei ein Hort der Demokratie. Etwa 95 Prozent der Menschen würden sich bei Umfragen in der politischen Mitte verorten. "Gefühlt ist die Mitte immer da, wo die einzelnen Personen sind. Mit dem Denken der Menschen hat das nicht unbedingt viel zu tun." Die übrigen Gäste, neben Scheuer sind das der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, Linken-Chefin Katja Kipping, der Journalist Hans-Ulrich Jörges und der Historiker Heinrich August Winkler, sitzen aufmerksam zuhörend im Hintergrund und haben für den Moment Sendepause.

Wo diese Mitte in der Flüchtlingsfrage liegt, will Illner von Decker wissen, "und wo beginnen die Ränder?" Für den Wissenschaftler ist klar: Das Thema ist gar nicht Ursache für eine politische Entwicklung, sondern deren Katalysator. Die Flüchtlingspolitik habe dazu geführt, dass sich nun Menschen zu Wort melden, die bereits in den vergangenen Jahrzehnten "mit einer bestimmten liberalisierenden Entwicklung nicht einverstanden waren". Ihnen gehe es etwa um homogene Volksgemeinschaft, die Rolle der Frau, Rechte von Homosexuellen oder auch doppelte Staatsbürgerschaft.

Gegen die liberalisierende Entwicklung - mit der Stoßrichtung sei es der AfD gelungen, "das Potenzial zu mobilisieren, das die NPD nicht erreicht hat." Potenzial, das die CSU gerne erreichen will; wonach sie unter Berufung auf den Leitsatz von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, auch strebt.

Zwischen hart genervt und extrem angesäuert

Zurück zu Minute 16. Das Team von Maybrit Illner hat einen kleinen Beitrag zusammengeschnitten. "Entschuldigen'S die Sprache", hört man Scheuer sagen, bevor das erwähnte Zitat über den zu gut integrierten Senegalesen sowie die empörten Reaktionen aus katholischer und evangelischer Kirche eingespielt werden.

Integration als Abschiebehindernis? Nein, nein, sagt der CSU-General. Aber um Humanität im Umgang mit geflüchteten Menschen gewährleisten zu können, müsse eben klar zwischen "wirklich Schutzbedürftigen" und jenen "ohne Bleibeperspektive" unterschieden werden. Mit der Konsequenz, dass schneller über Abschiebungen entschieden und diese dann auch zügig durchgeführt werden. Am Kern dieser Forderung rüttelt in der Runde auch niemand.

Das Problem ist vielmehr dieser Halbsatz, mit dem Scheuer seine Aussage zu einer bewussten Zuspitzung gemacht haben will und der zugleich relativeren soll: "Entschuldigen Sie die Sprache". Genau die Sprache ist offensichtlich das Problem. Diesen Eindruck befeuert die Moderatorin selbst mit ihren Nachfragen: "Ist das noch bayerische Folklore oder schon Rassismus?" Scheuers Miene dazu: zwischen hart genervt und extrem angesäuert. "Ich lerne dazu, dass das Motto der Sendung offenbar intern umgeschrieben wurde, hin auf einen Satz, den ich gesagt habe."

Tatsächlich wabert die Sendung noch eine Weile um den Satz herum. "In der Art, wie Herr Scheuer gegen Flüchtlinge argumentiert, besorgt er das Geschäft der AfD", sagt SPD-Fraktionschef Oppermann und Linken-Chefin Kipping ergänzt: Scheuers Satz sei "wie ein Koalitionsangebot an die AfD".

Das Postfaktische an Scheuer

Eine andere Aussage von Scheuer wird dagegen gar nicht groß beachtet, obwohl sie durchaus Unterhaltungspotenzial hätte. Als der Berliner AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski in einer Talkshow vor der Wahl behauptete "Das was man fühlt, ist auch Realität", war das Anlass für Kritik und Spott. Das "Postfaktische" sei in der deutschen Politik angekommen, nachdem Populisten wie Donald Trump und Nigel Farage sich schon länger daran bedienen.

Bei Scheuer klingt das in der Illner-Talkshow so: "Stimmung muss man als politische Fakten nehmen." Zugleich sagt der CSU-Generalsekretär: "Wir sind auf einem guten Weg, auf einem Weg der Inhalte." Stimmung als Fakt, Stimmung als Inhalt? Wie das zusammenpasst, fragt in dieser Sendung leider niemand.

Irgendwann schafft Illner es doch noch, zumindest ein bisschen auf das eigentliche Thema der Sendung einzuschwenken - was hauptsächlich den sachlichen Beiträgen von Heinrich August Winkler und Oliver Decker zu verdanken ist. Eine klare Antwort, ob Deutschland unregierbar wird, gibt es erwartungsgemäß nicht. Klare Tendenz: Keine Panik, es findet sich eine Regierung, auch wenn sich Oppermann zu einer rot-rot-grünen Option nicht so recht äußern will und Scheuer beim Gedanken daran fast grün wird vor Übelkeit.

Was bleibt? Nun, die Sendung von Maybrit Illner lässt einen mit dem ratlosen Gefühl zurück, dass sich in der Debatte über die Flüchtlingspolitik inhaltlich wenig bis gar nichts bewegt. Nur sprachlich, da bewegt sich einiges, wie man am Mundwerk von Andreas Scheuer beobachten kann.

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