ZDF-Serie "Schuld":In jedem steckt das Böse

SCHULD nach Ferdinand von Schirach

Moritz Bleibtreu (l., neben Devid Striesow) nimmt als Strafverteidiger Friedrich Kronenberg Ferdinand von Schirachs Geschichten die Kälte.

(Foto: Gordon Muehle/ZDF)

"Schuld" nach Ferdinand von Schirach erzählt von der Labilität menschlicher Existenz. Als Strafverteidiger glänzt Moritz Bleibtreu, dem man sogar den Kriminalkitsch verzeiht. Alle Episoden sind vorab in der Mediathek abrufbar.

Von Heribert Prantl

Kürzlich, bei einem Sonntagsgespräch in Markt Schwaben bei München, hat Gerhard Schröder verraten, warum er Politiker geworden ist. Der frühere Bundeskanzler und SPD-Chef sülzte da nicht lange herum, sondern bekannte: "Ich wollte die Macht." Bei der Gelegenheit erklärte er auch gleich, warum er Jura studiert hat: Perry Mason habe ihm unglaublich imponiert. Mason ist ein fiktiver Strafverteidiger in 82 Romanen und zwei Kurzgeschichten des amerikanischen Autors und Rechtsanwalts Erle Stanley Gardner; Perry Mason, gespielt von Raymond Burr, war seinerzeit unendlich populär mit einer unendlich langen Fernsehserie. "Die hab ich immer geguckt und gedacht, so möchtest du auch mal werden", erzählte Schröder. Dieser Perry Mason hat nämlich seine Prozesse immer gewonnen. Und genau das wollte Schröder auch.

Das ist keine schlechte Wirkungsgeschichte: Ein Fernsehheld, der in Staffeln à 50 Minuten auftritt, bewirkt, dass ein junger Mann Juristerei studiert, dies mit seinem Machtwillen verbindet, zwei juristische Staatsexamina schreibt, Anwalt wird, Politiker und schließlich Kanzler. Perry Mason alias Raymond Burr ist also schuld an diesem durchsetzungsstarken Kanzler.

Wenn Perry Mason vor fünfzig Jahren das Zeug zum Juristen- und Kanzlermacher hatte, dann hat das heute der Strafverteidiger Friedrich Kronberg, ganz wunderbar gespielt von Moritz Bleibtreu, auch; vielleicht muss die TV-Serie dafür allerdings ein wenig länger dauern als nur sechs Folgen. Die aber sind - brillant. Der Strafverteidiger Kronberg ist freilich kein Anwalt à la Schröder, kein Rambo, kein juristischer Büffel, er ist aber auch kein juristischer Besserwisser und kein Aktenfuzzi.

Der Strafverteidiger Kronberg in der Fasson, die ihm Moritz Bleibtreu gibt, ist der kluge und nachdenkliche, der juristisch pfiffige und skrupulöse Held einer neuen ZDF-Reihe, die in sechs Folgen Kriminalgeschichten aus dem Buch Schuld von Ferdinand von Schirach verfilmt hat. Es ist dies eine exzellente, eine erregende, eine spektakulär gute Verfilmung - nicht ganz frei von Kriminalkitsch. Aber man verzeiht Moritz Bleibtreu auch diesen Kitsch.

Die Serie zeigt, dass Böses nichts ist, das den Menschen von außen angetan wird - es steckt in jedem

Man verzeiht ihm, dass er am Schluss der einzelnen Folgen theatralisch die große steinerne Gerichtstreppe herunterläuft; man verzeiht den Regisseuren Hannu Salonen und Maris Pfeiffer, dass sie ihrem Strafverteidiger das antun und dazu noch aus dem Off kriminologischen Edelschwulst ertönen lassen: "Die Schuld eines Menschen ist schwer zu wiegen. Wir streben ein Leben lang nach Glück. Aber manchmal verlieren wir uns und die Dinge gehen schief. Dann rettet uns nur noch das Recht vor dem Chaos. Eine dünne Schicht aus Eis und darunter ist es kalt . . ."

Aber an dieser Stelle sind die jeweils 44 Minuten schon um, und nur in der Schlussminute muss man solches Pathos aushalten. Man verzeiht es auch den Produzenten Oliver Berben und Jan Ehlert, dass sie diesen pathetischen Quark haben durchgehen lassen. Denn der große Rest, die ganze Serie also, ist tausendmal besser als dieser Abspann.

Jedes Mal vorm Abgrund

Dieser Sechsteiler schließt auf eine eigenwillig-tiefgründige, höchstspannende Art an die Kunst von US-Serien wie den Sopranos an. Jede Episode ist aber hier eine eigene, abgeschlossene Geschichte; zusammengehalten werden die Folgen von der Figur des Strafverteidigers Kronberg/Bleibtreu, der ein effizienter juristischer Grübler ist. Jede Folge spielt in einem anderen Milieu, jede in einer anderen Szenerie. Und fast jedes Mal sieht sich der Zuschauer vor einem Abgrund stehen. Fast jedes Mal spürt man, wie die eigene Sicherheit bei der Beurteilung der Dinge schwindet.

Schuld heißt das Buch, das als Vorlage diente, Schuld heißt auch die Serie; aber um Schuld geht es eigentlich gar nicht. Es geht um die Labilität menschlicher Existenz. Es zeigt sich in jeder Folge, dass Böses nichts ist, das den Menschen von außen angetan wird; es steckt in jedem; das Böse ist menschlich. Und so erlebt man verstört, wie Sparkassenangestellte, Lehrer und Blasmusikanten ins Schlingern geraten und sich selbst verlieren - und wie das Strafrecht und der Strafprozess dann damit umgehen. "Da werden Tat und Täter untersucht, nicht Gut und Böse", sagt Ferdinand von Schirach in einem Statement zur Serie. Das Recht moralisiert nicht, es prüft möglichst leidenschaftslos nach den Regeln der Strafprozessordnung. Die Strafprozessordnungen der Rechtsstaaten gehören zum Bedeutendsten, was die Aufklärung hervorgebracht hat, meint Schirach: "Sie kanalisieren unsere Wut, ihre Regeln ordnen unsere schwankenden Gefühle."

Wie das geht, kann man an leider nur sechs Abenden auf großartige Weise erleben. Oliver Berben hat auch schon den ersten Teil der Serie, Ferdinand von Schirachs Bestseller Verbrechen, produziert; damals spielte Josef Bierbichler die Hauptfigur, den Strafverteidiger, als Kraftpaket, als ein juristisches Kraftwerk. Moritz Bleibtreu ist ganz anders und er spielt den Anwalt ganz anders - zart irgendwie, ohne die grenzenlose Selbstsicherheit von Schröder und Bierbichler. Bleibtreu spielt den Strafverteidiger als einen nachdenklichen, aber doch zielsicher handelnden jungen Juristen, der gleich in seinem ersten Fall (der als letzter gesendet wird) die Grenzen des Strafrechts ertastet und erspürt.

Die Geschichten stellen Fragen und beantworten viele dieser Fragen nicht: Warum wird ein liebenswürdiger junger Mann zu einem Schläger, der seine Frau demütigt und tyrannisiert? Warum werden die Mitglieder einer Blaskapelle, ordentliche Männer in ordentlichen Berufen, zu gemeinschaftlichen Vergewaltigern? Warum können sie sich mithilfe des Rechts unbestraft wieder in Biedermänner zurückverwandeln? Manche dieser Fragen beantworten die Geschichten, viele nicht.

Manche dieser Fragen kann man auch auf dem Gesicht von Strafverteidiger Kronberg ablesen. Es ist Bleibtreus Kunst, den Kriminalgeschichten, die in der literarischen Fassung Ferdinand von Schirachs marmorne Kühle haben, die Kälte zu nehmen. Und es ist gut, dass diese Geschichten ihn gelockt haben, nach 15 Jahren im Kino wieder ins Fernsehen zu gehen.

Und jetzt bleibt noch die Frage, wen diese TV-Serie anlockt, Jura zu studieren und Politiker zu werden. Und wie dieser Politiker dann sein wird, der sich von Friedrich Kronberg/Moritz Bleibtreu auf diesen Weg hat bringen lassen.

Schuld, alle sechs Folgen ab sofort in der ZDF-Mediathek und ab 20. Februar, freitags, 21.15 Uhr.

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