ZDF Neo: Norbert Himmler:Der Don Draper vom Lerchenberg

Norbert Himmler bastelt seit einem Jahr an ZDF Neo. Frisch soll der Sender werden, und jünger als seine große Schwester. Doch gänzlich ist dem Muff der Anstalt nicht zu entfliehen.

Hans Hoff

Wenn man in dem riesigen Verwaltungsklotz, den das ZDF auf den Mainzer Lerchenberg gestellt hat, aus dem Aufzug kommt und die Abteilung fürs junge Fernsehen sucht, keimen schnell Zweifel, ob man richtig ausgestiegen ist. Zumindest wenn man kürzlich erst eine ganz bestimmte amerikanische Serie auf DVD gesehen hat, stellt sich die Frage, ob man nicht versehentlich in den Kulissen der in den frühen sechziger Jahren spielenden Serie Mad Men gelandet sein könnte. Auch dort riecht es in etlichen Szenen förmlich nach muffigem Büroalltag, auch dort klingeln von überall Telefone, auch dort eilen die Menschen an endlosen Reihen von nichtssagenden Türen vorbei, bevor sie schließlich im hellen Büro von Donald "Don" Draper landen, dem smartesten Werber von allen.

Zielgruppenkanal ZDFneo vorgestellt

Nobert Himmler bastelt seit einem Jahr an einem zweiten Kanal fürs ZDF. Dass sein Sender ZDF Neo als einziger die US-Serie "Mad Men" wollte, zeugt nicht von Verrücktheit, sondern von ein wenig Wagemut.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Leider sitzt am Ende des Ganges in Mainz nicht Donald Draper, sondern nur Norbert Himmler. Der trägt seinen Schlips auch sehr akkurat gebunden zum hellen Hemd, aber beim Blick aus dem luftigen Eckbüro wird sehr deutlich: Dies ist nicht New York, dies ist keine angesagte Werbeagentur, dies ist das ZDF. Und es gibt weder Zigaretten noch Whisky, nur Wasser und Kaffee.

Dass man ein Mainzer Gewächs wie Himmler kurz mit Draper in Verbindung bringt, hat natürlich einen Grund. Himmler ist der Mann, der Don Draper ins deutsche Fernsehen bringt. Weil niemand auf dem deutschen Markt die nun zum dritten Mal bei den Emmy-Verleihungen als beste Drama-Serie ausgezeichneten Mad Men wollte, hat Himmler zugeschlagen. Vom 6. Oktober an laufen die verrückten Werber bei ZDF Neo.

Ein Sender für alle, die nicht fernsehen wollen

"Leiter Hauptredaktion Spielfilm/ZDF Neo" steht auf Himmlers Visitenkarte. Es ist einer jener Bandwurmtitel, die dem ZDF den Ruf eingetragen haben, noch immer etwas vom bürokratischen Geist der Sechziger in sich zu tragen. Man wird halt nicht so schnell hip, hier oben in der Anstalt auf dem Berg. Himmler soll das ändern, er soll die lahme Schnecke Verjüngung ein bisschen dopen, auf dass sie langfristig das ZDF weg schleppe von den Sechzigern, derzeit das Durchschnittsalter der Zuschauer.

Dafür hat das ZDF im Herbst aus dem digitalen Dokukanal ZDF Neo gemacht. Inzwischen hat der Neuling die Quote verdoppelt und 0,2 Prozent Marktanteil beim erhofften Publikum im Alter zwischen 25 und 49 Jahren erreicht. In digital versorgten Haushalten schafft Neo 0,5 Prozent. "Wir erreichen spürbar mehr Frauen", sagt Himmler. Rund 42 Prozent der Seherschaft stellten sie beim Dokukanal, 52 Prozent sind es nun bei Neo. Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt allerdings noch bei 51 Jahren und damit außerhalb der gewünschten Zielgruppe. Fürs ZDF sind das trotzdem respektable Werte. Derzeit habe Neo wohl noch am meisten Publikum in der Gruppe zwischen 35 und 55 Jahren, meint Himmler. Aber man sei auf dem Weg.

Das ist die Botschaft an die Welt da draußen und wohl auch an die 35 Mitarbeiter, die den Sender bislang stemmen, die sich für jeden Tag ein buntes Programm zusammensuchen aus bereits abgespulten ZDF-Produkten und am Abend das eine oder andere exklusiv zeigen können. Selbstproduzierte Dokusoaps von erstaunlicher Qualität sind dabei ebenso im Angebot wie amerikanische Serien. Mit der viel gelobten, aber hierzulande von niemandem sonst gewollten Reihe 30Rock ist Neo im Herbst gestartet, und inzwischen kann Himmler über eine zweistellige Anzahl von amerikanischen Serien verfügen, die zum Ruf des Senders beitragen: als Adresse für Menschen, die eigentlich nicht mehr fernsehen wollen, es aber trotzdem immer wieder tun.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie bei ZDF Neo Programm gemacht wird.

Mit Wagemut ins Luftschloss

Natürlich weiß der 39-jährige Senderchef sehr wohl, dass er bei den Erfolgszahlen mit Luftschlössern handelt, denn gerade im Bereich der Marktanteile unter einem Prozent entscheidet oft ein Zuschauer mit Messgerät der Gesellschaft für Konsumforschung über Wohl und Wehe. Schaltet er ein, darf gejubelt werden, schaltet er ab, stürzt der Sender ins Bodenlose. Dass, wie im Vorspann von Mad Men, ein Mensch ohne Perspektive aus einem Hochhaus stürzt, ist deshalb aber nicht zu erwarten. So verrückte Männer gibt es bei ZDF Neo nicht.

Rund 30 Millionen Gebühren-Euro darf Himmler im Jahr verwenden. Nicht mehr. "Die werden sich nicht ändern. Die sind mit unseren Gremien so vereinbart", sagt er.

Dass sich ZDF Neo in den zehn Monaten seines Bestehens noch nicht als Marke etabliert hat, sieht Himmler als Folge einer eher volatilen Programmplanung. "Wir probieren viel aus", sagt er. Gerade hat er herausgefunden, dass die aktuelle Planung, bei der an jedem Abend zu einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Genre bedient wird, nicht optimal funktioniert. Dementsprechend will er im neuen Jahr wohl umstellen auf Themenabende, die natürlich nicht so heißen sollen, weil der Begriff durch Arte besetzt ist. Ein Abend Comedy, ein Abend Dokus, ein Abend mit amerikanischen Serien könnte dann im Plan stehen.

Lärm bedeutet Fortschritt

Noch vor Weihnachten soll eine wöchentliche Spätshow mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Ulmen starten. "Das wird schräg und viele Reibungspunkte bieten", verspricht Himmler, der regelmäßig auch Anwürfe der Privatsender parieren muss, die sich über Gebührenverschwendung oder unlautere Konkurrenz beschweren. "Dass sich die Privaten so echauffieren, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagt er: "Je lauter die schreien, desto richtiger machen wir es." Womit er dann doch relativ viel aussagt über die Positionierung seines Senders.

Dass ein auf junge Menschen ausgerichteter Sender noch nichts im Angebot hat, was sich überzeugend mit dem Thema Internet und Fernsehen befasst, sieht er einem klaren Mangel geschuldet. "Mir ist noch kein überzeugendes Format auf den Tisch gekommen, wo der Brückenschlag gelungen ist. Ich bin vorsichtig, mit Gewalt etwas zu verschmelzen, was nicht zu verschmelzen ist." Man ist ja nicht komplett verrückt beim ZDF.

Ein bisschen aber schon. Schließlich dürfte es ja einen Grund geben, warum kein deutscher Sender eine derart hochgelobte Serie wie Mad Men kaufen wollte. Möglicherweise haben bei der Verweigerung ja auch die eher traurigen Erfahrungen mitgespielt, die das ZDF schon mit den Sopranos oder Vox mit Six Feet Under machen mussten. Für Himmler ist es ein Wagnis, das sich erst am Tag nach der Sendung korrekt kalkulieren lässt. "Da sprechen wir ein Fan-Publikum an", sagt er. "Ich hoffe, es ist groß genug." Draußen vor dem Fenster liegt immer noch Mainz.

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