Schüsse in einem Einkaufszentrum, die Polizei rückt an, Massenpanik. Wer die Waffe in der Hand hat, ist nicht zu erkennen. Stattdessen sind vertraute Floskeln zu hören. "Menschen, die eine solche Tat begehen, sind immer solche, die tief gekränkt sind", sagt ein Experte bei einem Nachrichtensender. "Letztlich ist es aber immer eine Kleinigkeit, die das Fass zum Überlaufen bringt." Danach springt die Serie fünf Tage in der Zeit zurück. Hier geht es nicht nur darum, wer der Täter ist, sondern vor allem um den Auslöser, der die Person zu diesem Blutbad veranlasst hat.
In der Serie Am Anschlag - Die Macht der Kränkung heißt die sechste und letzte Folge "Tag X". Hier wird das Attentat gezeigt. In den fünf Folgen zuvor werden eine Reihe von Charakteren eingeführt, die potenziell zum Täter werden könnten. Da ist Georg (Murathan Muslu), ein muskelbepackter Wachmann im Shopping Center, dem die Leute eine kurze Zündschnur nachsagen, während er sich um seine blinde Frau (Antje Traue) kümmert. Der wahre Hitzkopf des Security-Teams ist sein Kollege Mario (Paul Wollin), der bei sich zu Hause einen Revolver aufbewahrt und seine Arbeitsaffäre Saschi (Lea Zoë Voss) zunehmend einschüchtert. Die Friseurin wirft auch deswegen ein Auge auf den scheinbar gelassenen Kellner Lorenz (Jonas Holdenrieder). Von seiner Zeit im Jugendknast erfährt sie erst später. Den möglichen Täterkreis komplettieren Geschäftsfrau Mira (Julia Koschitz) und ihre Mutter Ingeborg (Ullrike Willenbacher) sowie die Ärztin Sarah (Johanna Wokalek), deren Praxis pleitezugehen droht und nur dank der Hilfe ihres Helfers (Daniel Langbein) überleben kann, der in sie verliebt ist.
Jeder der Charaktere wird so malträtiert, dass man ihm das Attentat zutrauen kann
Jede der rund 45-minütigen Episoden fokussiert sich auf eine dieser Figuren und erzählt stets ein persönliches Drama. Dabei macht es sich die Serie zur Aufgabe, die Charaktere innerhalb der fünf Tage vor der Tat so zu malträtieren, dass man als Zuschauer jedem einzelnen von ihnen das Attentat im Einkaufszentrum ohne Anflug eines Zweifels zutrauen soll. Auf diese Weise Spannung zu erzeugen, hat zwei Seiten: Einerseits funktioniert die Erzählung dank der klassischen Krimi-Methode, denn natürlich will man wissen, wer am Ende der Täter gewesen ist. Andererseits wirken einzelne Motive, die letztendlich zur Tat führen könnten, doch sehr konstruiert und in ihrer Harmlosigkeit sogar teilweise zynisch - wenn man die Hintergründe von Attentätern aus der realen Welt damit vergleicht.
Klar, Am Anschlag - Die Macht der Kränkung zielt auf die Kleinigkeiten ab, die meist ohnehin schon psychisch vorbelastete Menschen zu Tätern machen. Dreiecksbeziehungen oder Stress bei der Arbeit zu nutzen, um das oben zitierte Fass zum Überlaufen zu bringen, vereinfacht die Täterprofile jedoch allzu sehr. Hinzu kommt, dass die Serie politische und rassistische Beweggründe nahezu komplett außen vor lässt. Weil sich Regisseur Umut Dağ und Drehbuchautorin Agnes Pluch eine Shoppingmall als Dreh- und Tatort ausgesucht haben, provozieren sie, ob beabsichtigt oder nicht, einen Vergleich zum realen Attentat im Münchner Olympia-Einkaufzentrum. Hier haben die Behörden, nachdem die Medien zunächst von einem Amoklauf eines verwirrten Einzeltäters berichtet hatten, mittlerweile eine rechtsextremistische Motivation nachgewiesen.
So mag das Krimi-Rätsel spannend erzählt und in hochwertigen Bildern und größtenteils ansprechenden Darstellerleistungen verpackt werden. Am Anschlag scheitert aber letztlich daran, in einem zu kurz gewählten Zeitraum kein wirklich erhellendes, umfassendes Bild von der Psyche eines Attentäters zu liefern.
Am Anschlag - Die Macht der Kränkung, Dienstag und Mittwoch jeweils drei Folgen ab 21.45 Uhr, ZDF Neo und Mediathek.
