Süddeutsche Zeitung

Frauen in den Öffentlich-Rechtlichen:"Patriarchalisch geprägte Unternehmenskultur"

Mehr als 200 Frauen beim ZDF fordern, die Senderführung weiblicher aufzustellen. Wie es bei den öffentlich-rechtlichen Sendern um die Geschlechtergerechtigkeit steht.

Von Aurelie von Blazekovic

In seiner 60-jährigen Geschichte hatte das ZDF bisher fünf Intendanten. Zwei von ihnen hießen Karl, keiner war eine Frau. So könnte man das zusammenfassen, was mehr als 200 Mitarbeiterinnen des ZDF nun zu einem offenen Brief bewogen hat. Und dann ist da noch die Gegenwart: In der ZDF-Geschäftsführung sitzen, den Noch-Intendanten Thomas Bellut eingeschlossen, fünf Männer. Zwei von ihnen heißen Peter, und außerdem gibt es: eine Frau. Sie heißt Karin Brieden, ist Verwaltungsdirektorin und stellvertretende Intendantin des ZDF.

Eine Frau reicht nicht, befindet das Netzwerk "Frauen im ZDF" in dem Schreiben, das sich an den ZDF-Verwaltungsrat richtet. In vielen Bereichen des Senders hätten Frauen lange eine untergeordnete Rolle gespielt. "Wie anders ist es zu erklären, dass es in fast 60 Jahren nicht gelungen ist, mehr als eine Frau in der Geschäftsleitung zu platzieren?", schreiben sie. Das gilt in nahezu allen deutschen Vorständen, aber bei den Öffentlich-Rechtlichen ist es, wie so oft, noch etwas komplizierter gelagert.

Im März 2022 wird der bisherige ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler als sechster Intendant seine Arbeit aufnehmen. Im Sommer setzte er sich in einer Wahl vor dem Fernsehrat gegen Tina Hassel durch, der Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios in Berlin. Auch aus diesem aktuellen Anlass fordert das Netzwerk "Parität in der Geschäftsleitung des ZDF".

Die Frage ist, ob ein modernes Medienunternehmen mit einer komplett männlichen Geschäftsleitung aufwarten kann

Im nächsten Jahr müssen dort zwei Position neu besetzt werden. Die Programmdirektion, weil Norbert Himmler Intendant wird, und die Chefredaktion, weil Peter Frey, seit 2010 auf seinem Posten, im kommenden Jahr 65 wird und sein Vertrag ausläuft. Die Forderung des ZDF-Netzwerks: Die beiden vakanten Stellen sollen mit weiblichen Führungskräften besetzt werden. Die im nächsten Jahr anstehenden Personalentscheidungen, heißt es, "werden die Modernität und Diversität nach innen und außen unter Beweis stellen müssen."

Es schicke sich nicht für ein modernes Medienunternehmen, eine überwiegend männliche Geschäftsleitung zu präsentieren, "sichtbar im Widerspruch zum selbstformulierten Anspruch des Unternehmens."

Das Netzwerk "Frauen im ZDF" hat sich nach eigenen Angaben im Herbst 2020 formiert, mehr als 220 Frauen aus allen Bereichen der ZDF-Gruppe hätten sich angeschlossen. Ihr Ziel: "Wir wollen, dass sich an der patriarchalisch geprägten Unternehmenskultur im ZDF etwas ändert."

Damit ist das ZDF nicht allein. Bei Arte setzten sich im Frühjahr mehr als 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Schreiben dafür ein, dass in dem Haus, in dem penibel auf die Gleichberechtigung zwischen Deutschen und Franzosen geachtet wird, auch Frauen gleichberechtigt mitentscheiden sollen. Der Vorstand von Arte war bis November rein männlich. Ab 2022 werden ihm zwei Frauen angehören.

Bei der ARD gibt es seit Mai 2021 eine Frau an der Spitze, die Programmdirektorin Christine Strobl, die erste in dieser Funktion. Als sie 2020 gewählt wurde, gratulierte der Verein Pro Quote Medien, schob aber auch gleich Kritik hinterher: Leider sei Strobl die einzige Frau in einem Führungskarussell, über das die Intendantinnen und Intendanten gerade entschieden hatten. Vier weitere Spitzenposten wurden zur selben Zeit mit Männern besetzt: der ARD-Chefredakteur, der Degeto-Geschäftsführer, der Funk-Geschäftsführer und der stellvertretende Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. Für Pro Quote Medien: "Ein Armutszeugnis."

Die Öffentlich-Rechtlichen sind in besonderem Maße der gesamten Bevölkerung verpflichtet

Die Kritik an den männlichen Führungsebenen wurzelt bei den öffentlich-rechtliche Sendern auch darin, dass sie im besonderen Maße der Gesamtbevölkerung verpflichtet sind. Nicht nur in ihrem Programm, sondern auch innerhalb der Unternehmen müssen sie sich darum bemühen, Vielfalt und Gleichberechtigung darzustellen. Doch, so Pro Quote: "Was nützt es, wenn die Sender einerseits Gleichstellungsbeauftragte beschäftigen und Coachings zu Diversity abhalten, bei Personalentscheidungen hingegen Gendergerechtigkeit offenbar keine Rolle spielt?"

Der Verein untersuchte 2018 die Geschlechterverhältnisse im Rundfunk. Dort kam heraus: Die Hälfte der Belegschaft und ein Großteil des journalistischen Nachwuchses in öffentlich-rechtlichen Sendern ist weiblich, doch in den Führungsriegen sind Frauen den meisten Häusern entweder in der Minderheit oder völlig abwesend. In den Intendanzen zählte der Verein 2018 nur zwei Frauen in den zwölf öffentlich-rechtlichen Anstalten (neun Landesanstalten der ARD, das ZDF, die Deutsche Welle und Deutschlandradio).

Seitdem haben sich einige Stühle bewegt, Patricia Schlesinger (RBB) und Karola Wille (MDR), die beiden Intendantinnen von 2018, sind heute in Gesellschaft von Katja Wildermuth (BR) und Yvette Gerner (Radio Bremen). Auf der Intendantenebene wäre der Frauenanteil damit auf vier von zwölf erhöht. Doch auch die Kontrollgremien der Sender waren 2018 mehrheitlich mit Männern besetzt. In den Rundfunk-, Fernseh- und Hörfunkräten betrug der durchschnittliche Frauenanteil laut Pro Quote 41,5 Prozent, in den Verwaltungsräten 38,5 Prozent. Der ZDF-Verwaltungsrat immerhin ist heute zumindest paritätischer besetzt als seine Geschäftsführung, fünf von zwölf Mitgliedern sind Frauen.

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