ZDF-Film über Burnout:Ein Film für alle, die völlige Erschöpfung erfahren haben

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Und, was hast du? Toni (Marie Bäumer) begibt sich in eine Klinik - und hofft auf schnellen Service wie in der Autowaschanlage. (Foto: ZDF/Conny Klein)

Ein Buch der Publizistin Miriam Meckel löste im Jahr 2010 eine Debatte über ausgebrannte Erfolgsmenschen aus. Jetzt hat das ZDF ihre Geschichte verfilmt.

TV-Kritik von Christian Mayer

Die Frau mit dem Rollkoffer ist nicht einfach nur müde, sie schläft im Stehen ein; die Dinge scheinen ihr zu entgleiten, doch sie kann sich nicht fallen lassen, das gehört nicht zu ihrer Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens. Deshalb packt sie ihren Koffer mit manischer Selbstdisziplin, sie taumelt von Termin zu Termin. Laptop und Smartphone, die vorwurfsvoll blinkenden Gefährten, sind ständig griffbereit, sie liegen frühmorgens auf dem Frühstückstisch und spätabends neben dem Kopfkissen: Das Leben der Erfolgsfrau Toni, die als Professorin für Ozeanografie gerade eine steile Karriere macht, läuft bereits im sechsten Gang, gleich wird es sie aus der Kurve tragen, samt dem Rollkoffer, der ihr aus den Händen gleitet.

Marie Bäumer spielt diese Frau im ZDF-Fernsehfilm Brief an mein Leben, der auf dem gleichnamigen Buch von Miriam Meckel beruht, aber doch eine ganz eigene Geschichte erzählt. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Chefredakteurin der Wirtschaftswoche hatte 2010 ihre eigenen Burnout-Erfahrungen öffentlich gemacht; es war die bemerkenswerte Selbstreflexion eines Workaholics. Meckel, die Lebensgefährtin der Fernsehjournalistin Anne Will, löste mit ihrem Bestseller eine Diskussion aus, es war damals das Buch der Stunde, weil das halbe Land über ausgebrannte Erfolgsmenschen diskutierte, über eine sich selbst verzehrende Elite.

Im Film von Regisseur Urs Egger begegnet uns Toni bereits in einem Zustand der völligen Erschöpfung. In der Klinik für psychische Erkrankungen versucht sie das, was sie aus ihrem bisherigen Rollkofferleben kennt: Sie will sich einen Überblick verschaffen über die Lage, kurz checken, was schief gegangen ist und dann eine Lösung präsentiert bekommen. Im ersten Beratungsgespräch mit ihrer Ärztin gibt sie sich noch reserviert. Das Wort Burnout hasse sie, das gehöre längst zum "erfolgreichen Berufsleben wie das Eigenheim zur Vorbildfamilie." Die anderen Patienten hält sie auf Abstand, sie will hier nur rasch durchgeschleust werden, wie in der Autowaschanlage.

Anfangs nervt dieser Film gehörig. Das liegt an den ständigen Rückblicken, die Tonis Erschöpfungsdepression im Zeitraffer zeigen und mit einer immer etwas zu rasch aufbrausenden Musik unterlegt sind. Kann man im deutschen Fernsehen nicht mal eine Minute stiller Verzweiflung aushalten, muss immer gleich das Nervenklavier klimpern? Marie Bäumer, sonst ein Lichtblick in heiteren Momenten mit einer ansteckenden Lebenslust, ist hier die wütende, total verkrampfte Frau, die wie viele Hype-und Skype-Menschen situativ umschalten kann. Was mit ihr los ist, kann sie selbst nicht begreifen: Eigentlich hat sie ja alles, einen großartigen Job als Wissenschaftlerin, eine attraktive Partnerin, die ihr auf Augenhöhe, aber mit Verständnis begegnet, eine natürliche Überlegenheit, die auf andere sehr einschüchternd wirkt.

Und, was hast du? Das wollen die anderen Patienten wissen. Tonis Antwort: "Ich oute mich nie vor 20 Uhr." Das ist eine der wenigen heiteren Stellen in diesem Selbstfindungsdrama. Schade eigentlich, denn auch die anderen Insassen sind alle tolle Schauspieler mit einem Sinn fürs Komische: Annette Paulmann etwa, die eine Krankenschwester spielt, die sich fachmännisch selbst ritzt. Oder Antoine Monot Jr., der als übergewichtiger Computerexperte der abweisenden Toni sehnsüchtige Blicke zuwirft und die Absurdität des Klinikalltags herrlich überspielt. Hanns Zischler darf als selbstgefälliger Chefarzt absurde Alltagsbanalitäten vortragen, er wirkt dabei fast wie die Parodie eines Traumschiff-Kapitäns, der vor dem Landausflug noch eine paar aufmunternde Worte zu den lieben Mitreisenden spricht.

Ernst oder Satire?

Man weiß allerdings nicht, ob das alles ernst gemeint oder Satire ist, wenn die armen Seelen beim Stuhlkreis im Klinikpark auch noch den alten Monty-Python-Song "Always look on the bright side of life" singen.

Im Lauf der Therapie löst sich bei Toni mehr als nur ein Knoten - die Wurzel, die sie bei einer Therapieübung im Wald findet, dient als Metapher, damit es auch jeder versteht. Aus dem Rollkoffer kramt sie Stück für Stück die alten Geschichten hervor, die Erfahrungen aus ihrer Kindheit, die sie ganz unten deponiert hat, weil in ihrer Familie nie richtig getrauert werden durfte. Und dann wird der Film richtig gut. Toni erinnert sich an ihre Mutter, die erst kürzlich an Krebs gestorben ist. Wie so viele Angehörige war sie mit der Krankheit völlig überfordert. Betäubt vor Schmerz wusste sie gar nicht, wie sie mit dieser immer als kaltherzig empfundenen Mutter umgehen soll, die unbeweglich in ihrem Sanitärbett lag und schwache Signale der Zuneigung aussandte. Erst später, als sie in der Klinik alle Stufen der Therapiehölle absolviert hat, kann sich die Tochter von ihrer Mutter verabschieden, erst jetzt überwindet sie die Sprachlosigkeit.

Ein ganz schön harter Brocken. Dieser Film wird sicher viele Menschen ansprechen, die ähnliche Erfahrungen mit Trauer und Erschöpfung gemacht haben. Wie schön, dass Marie Bäumer wenigstens für einen Moment so sein darf, wie man sie kennt: eine Frau, die durchs Leben tanzt.

Brief an mein Leben , ZDF, 20.15 Uhr.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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