ZDF-Doku über Antisemitismus:Europa braucht die Juden und ihre Kultur

Exodus?

Christopher Clark, 58, lehrt an der Universität Cambridge über die Geschichte Preußens und den Ersten Weltkrieg. Er ist mit einer deutschen Kunsthistorikerin verheiratet.

(Foto: ZDF und Noam Sharon)
  • Unter dem Titel Exodus? sucht Christopher Clark in einer zweiteiligen Doku nach Antisemitismus in Europa.
  • Er liefert ein Mosaik an Gründen für Judenfeindschaft und viele Anknüpfungspunkte zum Diskutieren.
  • Exodus? läuft am 4. November um 19.30 Uhr und am 6. November um 20.15 Uhr im ZDF.

Von Robert Probst

Früher ging die Gleichung so: ZDF + Geschichte = Guido Knopp. Seit dessen altersbedingtem Rückzug aus der populären Aufarbeitung der Zeitgeschichte 2013 hat sich eine neue Gleichung ergeben: ZDF + Geschichte = Christopher Clark. Nach der Deutschland-Saga (2014), der Australien-Saga (2016) und der Europa-Saga (2017) hat sich der Historiker nun die Geschichte der Juden in Europa und den Antisemitismus vorgenommen. Der Australier kann dank Blick von außen womöglich unverkrampfter, ohne moralinsaure Pädagogik über sogenannte schwere Themen sprechen, was ihm besonders bei der Miniserie Exodus? zugutekommt. Ist die Geschichte der Juden in Europa doch fast ausnahmslos eine Geschichte der Ausgrenzung, der Unterdrückung, des Mordens.

Clark, den das ZDF Moderator nennt, der aber eigentlich einer der Protagonisten ist, scheut sich nicht, das Thema in zweimal 45 Minuten darzubieten. Was verwundert, wenn man an seine quellengesättigte, teils langatmige Großdarstellung über die Deutschen und den Ersten Weltkrieg (Die Schlafwandler, 2013) denkt. Doch im TV ist die Arbeitsweise plakativer, verkürzend.

Clark steht vor der Klagemauer in Jerusalem, wandert flotten Schritts durch die Wüste, besucht eine Synagoge in Prag und steht vor dem Haus der Wannsee-Konferenz. Experten und Betroffene kommen zu Wort, dazwischen gibt es nachgespielte Szenen. So war auch die Saga-Reihe konzipiert, doch dort war immer Platz für Anekdoten, flapsige Vergleiche und humorvolle Gesangseinlagen. Das ist hier anders.

Das Thema ist ernst und liegt Clark merklich am Herzen. Europa braucht die Juden und ihre Kultur, das ist sein Credo. Der Titel Exodus? bezieht sich auf die biblische Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft, soll aber auch andeuten, dass es ja vor allem im heutigen Frankreich eine jüdische Bewegung raus aus Europa gibt, was vor allem am gesellschaftlichen Klima liegt. Teil eins (Regie: Gero von Boehm) wird aber zum Schnelldurchlauf vom Alten Testament bis zu Theodor Herzl. Clark erzählt die Geschichte eines Volks ohne Land, zusammengehalten nur von den heiligen Schriften. Und er erzählt, wie die Juden von Anfang an als andersartig und verdächtig wahrgenommen wurden, von Römern, Christen, Europäern. Ohne seine stete Einordnung verlöre man leicht den Überblick.

In Teil zwei wird die Erfolgsgeschichte einiger deutscher Juden im Kaiserreich erzählt, die sich in der Mitte der Gesellschaft angekommen fühlten - doch die Vorbehalte und der Hass waren durch die rechtliche Gleichstellung nicht verschwunden. Der Nationalismus befeuerte den Antisemitismus, der sich bis zum Rassenwahn des NS-Staats und dem Holocaust ins Unvorstellbare steigerte. Am Schluss begibt sich Clark auf die Suche nach dem aktuellen Antisemitismus, er sieht antijüdische Demonstrationen in Polen und Ungarn, Judenfeindschaft von Muslimen in Paris und in Deutschland linke Gruppen mit Muslimen gegen die Politik des Staates Israel protestieren. Er zeigt Gaulands "Vogelschiss"-Zitat und den Berliner Gürtelschläger.

Übrig bleibt ein Mosaik von Gründen für Judenfeindschaft, keine allumfassende Erklärung und auch kein schlüssiges Gegenrezept außer "Aufklären und Argumentieren". Die 90 Minuten bieten dafür gute Anknüpfungspunkte.

Exodus?, ZDF, 4.11., 19.30 und 6.11., 20.15.

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