Zank um Sonntagskrimi:Schöne Grüße...

...aus Biberach, Bad Wildbad oder Baden-Baden? Nach dem Aus für den "Tatort" vom Bodensee ist in Baden-Württemberg ein Streit darüber entbrannt, wer als nächste Stadt der Krimireihe Obdach geben darf.

Von Josef Kelnberger

Horst Lettenmayer hat alles gegeben, um als Schauspieler durchzustarten. Seinen ganzen Körper stellte er zur Schau im Schulmädchenreport. Seine Stimme hat er dem Ameisenoberst bei Biene Maja gegeben: "Ausschwärmen, Männer!" Aber zum deutschen Kulturgut geworden sind die blauen Augen, die Lettenmayer von seiner Mutter geerbt hat, und seine Beine. Diese Augen blicken sonntagabends, 20.15 Uhr, im Ersten sehr verdächtig den Tatort-Zuschauer an. Seine flüchtenden Beine werden von weißen Linien der Gerechtigkeit eingefangen. Der Tatort-Vorspann, die Rolle seines Lebens. Doch reich geworden ist Lettenmayer damit nicht. Nur 400 Mark hat er bekommen, man sagte ihm, es handle sich um Probeaufnahmen. 1979 gab er seinen Schauspielerjob auf, er machte ein Vermögen mit einer Beleuchtungsfirma.

Nun ist Horst Lettenmayer aber wieder im Gespräch, wenn es um den Tatort geht. Wegen Biberach. In Biberach an der Riß wurde Lettenmayer 1941 geboren. Und Biberach, die 30 000-Einwohner-Stadt, will Tatort-Tatort werden. Sie beruft sich dabei auch auf Horst Lettenmayer, den Sohn der Stadt. Eine späte Wiedergutmachung für den Mann, dem die ARD niemals Tantiemen bezahlt hat?

Es ist ein reichlich bizarrer Wettlauf, den sich in Baden-Württemberg ein halbes Dutzend Kandidaten liefern. Weil in Konstanz Kommissarin Blum ihre Arbeit 2016 einstellen wird, sucht der SWR einen neuen Schauplatz für seinen dritten Tatort neben Stuttgart und Ludwigshafen, das zwar jenseits der Grenze liegt, aber zum SWR-Land gehört. Biberach ist Teil des politischen Projekts Schwaben-Tatort, der spielen soll in Ulm und um Ulm herum. Von Heidenheim im Norden bis Biberach im Süden. Als Argument für die Region werden die vielen Sonnentage ebenso ins Feld geführt wie die vielen Nebeltage, und natürlich Horst Lettenmayer. Spricht man ihn am Telefon darauf an, so erinnert er daran, dass er Biberach schon als Kind verlassen hat. Die Idee des Schwaben-Tatorts findet er aber gut, und er stünde auch zur Verfügung. "Aber nicht als Leiche", sagt er, "nur als Kommissar." Den Vorspann solle die ARD im Übrigen einstampfen. Der sei "ein alter Hut".

Wer nun glaubt, die Bewerbung sei launig gemeint, irrt gewaltig. Die Schwaben-Bewerbung ging an SWR-Intendant Peter Boudgoust, an den Verwaltungsrat und auch den Rundfunkrat. Als Absender firmierten Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner sowie drei Landräte und sieben Landtagsabgeordnete. Als Rivalen haben sich bislang gemeldet: Freiburg, Baden-Baden, Karlsruhe, das Duo Mannheim/Heidelberg sowie Bad Wildbach und Leutkirch. Zu ermitteln wäre nun: Sind sie alle noch ganz bei Trost?

Martina Zöllner, die für den Tatort zuständige Fernsehfilmchefin des SWR, wirkt ziemlich geplättet von dem großen Andrang. Sie hat sich schlau gemacht bei Kollegen und erfahren: Ja, solche Kandidatenwellen gebe es immer mal wieder.

An Rhein und Ruhr fühlt sich gern mal eine Metropole vernachlässigt, wenn der WDR einen Kommissar in eine andere Metropole schickt. Und in Bayern ist ja ständig ein großes Thema, dass nicht nur München, Oberbayern, sondern auch Nürnberg, überhaupt das schöne Frankenland, einen Tatort dringend braucht. Offenbar ist es tatsächlich so, dass sich Städte und Regionen einen Schub für den Tourismus erhoffen, wenn sie mit erschossenen, erstochenen, erschlagenen, erwürgten, zerfetzten, zerstückelten Verbrechensopfern in Verbindung gebracht werden. Zöllner wertet die Bewerbungen aufrichtig als Zeichen für die Popularität des Formats. Einerseits. Andererseits kann sie das Phänomen nicht ganz verstehen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Touristen nach Kiel reisen, weil Kommissar Borowski dort ermittelt", sagt sie, "und an den Bodensee ist man ja auch schon immer gefahren." Vor allem aber sind Bewerbungen zwecklos. "Wir kennen unser Sendegebiet", sagt Martina Zöllner. Und es geht ausdrücklich nicht darum, Leichen an möglichst pittoresken Orten auszulegen.

Zank um Sonntagskrimi: Ist eine Leiche im Fernsehen so viel Wert wie eine schöne Postkarte? Die Tourismusbehörden der Städte glauben das, der SWR ist skeptisch. Fotos: imago(4), dpa; Bearbeitung: SZ

Ist eine Leiche im Fernsehen so viel Wert wie eine schöne Postkarte? Die Tourismusbehörden der Städte glauben das, der SWR ist skeptisch. Fotos: imago(4), dpa; Bearbeitung: SZ

Der Kurort Bad Wildbad bewirbt sich mit einem Filmchen, in dem der Kurdirektor die Leiche spielt

Genau genommen gefährdet das Gefeilsche das Image der Krimireihe. Es wirkt, als würde der Tatort unter politischer Einflussname und nach Gesichtspunkten des Standortmarketings vergeben. Martina Zöllner beharrt darauf, der SWR nehme sich jegliche Zeit und kreative Freiheit, lasse mehrere Autoren Konzepte entwickeln. Gesucht wird vor allem ein originelles Ermittlerduo, wobei man sich schon fragt, wo angesichts der Schar von psychotischen, depressiven, traumatisierten, egomanischen, alkoholisierten, vereinsamten, fremdgehenden, gewalttätigen Kommissarinnen und Kommissaren noch eine Lücke zu finden wäre. Ein glücklich verheirateter Familienvater vielleicht?

Was die Heimat der Ermittler angeht, so nennt Martina Zöllner als Kriterium: Ein Polizeipräsidium und eine Kriminalinspektion für Kapitaldelikte müsse es dort geben. Und im Übrigen zähle auch Rheinland-Pfalz zum Sendegebiet des SWR. Das wird in Baden-Württemberg gern vergessen. Grundsätzlich soll es in der Stadt Milieus geben, in denen sich Kriminalfälle glaubwürdig ansiedeln lassen.

Wirft man einen Blick auf die Schar der Bewerber, so hat sich am seriösesten das Projekt "Tatort Rhein-Neckar" positioniert, eine Kooperation der Multikulti-Arbeiterstadt Mannheim und der Gelehrtenstadt Heidelberg. Die Oberbürgermeister Peter Kurz (Mannheim) und Eckart Würzner haben in einem Schreiben an den SWR formuliert. "Die gesellschaftspolitische Dimension des Tatorts könnte hier zu einer neuen Relevanz gelangen." Das klingt, als hätte ein Heidelberger Soziologie an der Formulierung mitgearbeitet.

Mit reichlich Klamauk begann die Kampagne des Schwarzwald-Kurorts Bad Wildbad. Bürgermeister Klaus Mack durfte seine Idee für einen Plot schon in einer SWR-Sendung vorstellen. Mord im Thermalbad, Macks Sekretärin spielte die Putzfrau, der Kurdirektor mimte das Mordopfer. Mittlerweile hat sich der gesamte Nordschwarzwald - Mordschwarzwald! - hinter der Idee versammelt. Für die vielen Befürworter, die der Schwarzwälder Bote zu Wort kommen ließ, steht exemplarisch Christopher Krull, Geschäftsführer der Schwarzwald Tourismus GmbH: "Da schon jeder zweite Deutsche über 14 Jahren mindestens einmal Urlaub im Schwarzwald gemacht hat, müsste auch ein Quotenerfolg leicht zu schaffen sein."

Solche Argumente sind natürlich schwer zu toppen. Hans-Jörg Henle, der Bürgermeister von Leutkirch, kontert mit einer Idee, wie die Rolle des Kommissars in dem Allgäu-Städtchen zu besetzen wäre: George Clooney oder Brad Pitt. Sehr originell, wobei: warum eigentlich nicht beide?

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