Hilton-Doku auf Youtube:Erschöpft im Bällebad

https://www.youtube.com/watch?v=wOg0TY1jG3w

"Ich bin nervös. Ich zittere", sagt Paris Hilton in der YouTube-Doku, die auch um ihre Erfahrung im Internat geht.

(Foto: Screenshot Youtube Originals)

In der Youtube-Doku "This Is Paris" spricht die Hotelerbin Paris Hilton über das Trauma ihrer Jugend. Sie will endlich ihr wahres Ich zeigen. Warum lässt einen das so seltsam unberührt zurück?

Von Juliane Liebert

Die Welt ändert sich, und Paris Hilton will ihr Image ändern. Man hatte sich daran gewöhnt, Paris Hilton als eine Art Witzfigur zu sehen. Absurd reich, absurd overdressed, absurd blond. Eine leichte Zielscheibe für die Verteidiger des guten Geschmacks und der "wahren Werte (tm)". Hilton, die noch Anfang der 2000er in ihrer Realityshow so tat, als wisse sie nicht, was ein "Walmart ist", hat jetzt eine Doku herausgebracht, die ihr wahres Ich zeigen soll.

Dieses "wahre Ich" ist eine kluge, knallharte Businessfrau, deren Lebensziel es ist, eine Milliarde zu verdienen. Eine Frau mit ungeheurer Reichweite, die als "erste Influencerin" das Grauen vorweggenommen hat, das die aktuelle Influencer-Kultur ist. ("Ich wurde noch nie zweimal in denselben Klamotten fotografiert", sagt sie; man glaubt es ihr.) Und eine todtraurige Frau.

Die Welt ändert sich, und die Accessoires, die man so braucht, mit ihr. Wer etwas auf sich hält, der hat heutzutage mindestens ein sogenanntes Trauma. Paris Hilton, erzählt uns ihre Schwester in der Doku, hat nicht nur eins, sondern gleich mehrere.

So sieht es auch aus: Man sieht Hilton allein in ihrem Hotelzimmer weinen. Nach einem harten Arbeitstag. Erschöpft in einem Bällebad liegen, getröstet nur von zwei Fans. Man sieht sie verzweifelt packen. Man sieht sie Überwachungsgerätschaften in ihrem Schlafzimmer installieren, bevor ihr neuer Freund zu Besuch kommt. Man sieht, wie dieser neue Freund besoffen ihren DJ-Gig vor Tausenden Menschen sabotiert. Man sieht, welches Ausmaß an öffentlicher Misogynie Paris Hilton zeit ihres Lebens entgegenschlug.

Der Schein allein glänzt nicht mehr genug, um den Sinn zu ersetzen

Das Sextape, das gegen den Willen der damals sehr jungen Frau von ihrem Ex veröffentlicht wurde? So was nennt man heutzutage Revenge Porn. "Es war, als würde ich elektronisch vergewaltigt", sagt Hilton. Man sieht sie weinend, entfremdet, von Bergen von Schuhen und Kleidung umgeben. Sie will gar keine tausend Schuhe! Alles außer ihrem Sweatsuit braucht sie nicht und will sie gar nicht! Die bisherige Paris, so wiederholt sie gebetsmühlenartig, war nur eine Show. Die anderen Akteure der Doku - alte Schulfreundinnen, die Schwester, die Mutter - wiederholen ebenso gebetsmühlenartig, dass Paris "so klug ist", "so schlimme Trust-Issues hat", "so hart arbeitet". Und immer ist das Smartphone dabei.

Das Trauma im Zentrum der Geschichte ist eine Erfahrung in einem Internat. Hiltons Eltern hatten die rebellische junge Frau nachts aus dem Bett zerren und in die Einrichtung bringen lassen, sie selber dachte, sie würde entführt. In der Einrichtung wurde sie körperlich und psychisch misshandelt und mit Medikamenten ruhiggestellt, wie sie berichtet. Doch selbst das Treffen mit ehemaligen Mitschülerinnen lässt einen merkwürdig befremdet zurück.

Vielleicht ist das Problem, dass Hilton auf den Trauma-Zug aufspringen will, obwohl ihr Markenkern die Rolle der Kunstfigur ist. Im identitätspolitischen Wettbewerb ist Glaubwürdigkeit die wichtigste Währung. Aber in dieser Hinsicht ist die Multimillionärin Paris Hilton bettelarm — und zwar ohne jede Aussicht auf sozialen Aufstieg. Weil sie ihre bisherige Karriere bewusst auf dem glamourösen Nichts aufgebaut hat. Einer Wolke, die trägt, solange man selbst und die Öffentlichkeit an sie glaubt. Aber wenn die Lust an dieser Fiktion nachlässt, versinkt man in der Wolke und wird unsichtbar.

Raus aus der Nummer würde man nur kommen, indem man springt. Was mit einem schmerzhaften Aufprall auf dem Boden der Tatsachen einherginge und nicht nur das Image, sondern auch die Einheit der eigenen Persönlichkeit gefährden würde. "Ich weiß manchmal gar nicht mehr, wer ich bin", sagt Paris Hilton zu Beginn der Reise in einem Hotel. Sie bezieht es auf das ständige Jetsetten und die harten Tagespläne. Aber sie kann auch nicht aufhören. So hängt sie fest im Limbus der Reichen: zu viel zu verlieren, um sich radikal neu zu erfinden, aber der Schein allein glänzt nicht mehr genug, um den Sinn zu ersetzen.

Die Ironie liegt darin, dass die soziale Spaltung auf allen Seiten auch neue Verlierer produziert. Das betrifft sowohl die identitären Bruchlinien wie auch die ökonomischen. Wobei man nicht vergessen sollte, dass handfeste Armut die Betroffenen unmittelbarer bedroht als die mangelnde Relevanz der eigenen Person eine Millionärin.

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