Süddeutsche Zeitung

Influencer-Projekt "Youtopia":So stellt sich Ulf Poschardt die Hölle vor

Influencer lassen sich fünf Tage lang in einer Kuppel einsperren, um live eine riesige Dauershow über das Klima zu filmen. Protokoll von einem, der dort eine Woche weichgespült wurde.

Von Philipp Bovermann

Von Mittwoch bis Sonntag hat eine Gruppe deutscher Youtuber unter einer großen Kuppel im Jugendpark in Köln gelebt und von dort aus eine Nonstop-Show live ins Netz gesendet. 99 Stunden lang. Im Lauf der Tage kamen immer weitere Influencer vorbei, manche blieben sogar zum Übernachten, außerdem ließen sich Experten und Politiker per Stream zuschalten. Eine große Show für ein großes Problem: Es ging um den Klimawandel. Aber irgendjemand musste sich das alles schließlich auch angucken. Persönliche Notizen von einem, der es versucht und fast geschafft hat.

Mittwoch, Tag 1

"Wir sind tatsächlich live, Alter." Fünf junge Menschen befinden sich im Anmarsch auf die Kuppel, die aus Glas und Metall besteht und einen Durchmesser von vielleicht fünfzehn Metern hat. Bevor sie reindürfen, redet erst mal ein junger Mann mit Brille namens Jacob, der den Wissenskanal Breaking Lab betreibt und aussieht wie jemand, der sich im Physik-Leistungskurs häufig meldet. Er habe das hier alles organisiert, sagt er, und dass man über einen Link Geld spenden soll, das dann in die Aufforstung des Regenwalds fließt. Ein Baum kostet einen Euro.

Die anderen kennen sich untereinander teilweise schon. Die Welt der Influencer, so erfährt man nun, falls man es nicht schon wusste, ist eine riesige Sitcom. Ständig tauchen sie in den Videos ihrer Kollegen auf, um gegenseitig ihre Reichweiten anzuzapfen. Das ist wohl auch der Deal bei Youtopia: Influencer A featuring Influencer B featuring das Ende der Welt.

Im Inneren der Kuppel ist alles grün. Eingefügt in einen Minidschungel aus Topfpflanzen befindet sich eine kleine Bühne mit Couch auf der einen, eine offene Küche auf der anderen Seite. Im Schlafbereich soll eigentlich nicht gefilmt werden, trotzdem schnappen sich die Bewohner eine der herumstehenden Kameras und produzieren Jugendherbergs-Feeling. Wer pennt im Stockbett über wem? Darf Kayla vor der Kamera ihre Unterwäsche ins Regal einräumen oder ist das "cringe", also peinlich?

Donnerstag, Tag 2

Inzwischen sind die Rollen der Bewohner verteilt. Simon, ein schlaksiger Typ mit roter Baseballcap, ist der Clown der Truppe und eine Art wandelndes Jugendwort des Jahres. "Snacken wir die Brödels eigentlich noch auf?", fragt er beim Frühstück. Massentierhaltung findet er "schon whack". Kayla ist die coole Beauty und flirtet ein bisschen mit dem noch cooleren Jonas. Auf der Küchentheke steht eine Schale voll Kondomen aus recyceltem Plastik. Außerdem gibt es einen Beichtstuhl, in den sich die Bewohner zurückziehen können, um übereinander abzukotzen. Allmählich wird klar, was das hier ist: Big Brother für die Generation, die selbst die Kameras für die Rundumüberwachung mitbringt. Dschungelcamp for future.

Freitag, Tag 3

Die Utopie steckt voller Recycling-Plastikflaschen, in denen Wasser aus französischem Vulkangestein nach Köln transportiert wurde. Die Utopie steckt voller Markenlogos. Ohne Sponsoren wäre es nicht gegangen, erklärt Jacob. Die Kondome sind auch gesponsert. Braucht aber sowieso keiner. Alle verstehen sich prima und kochen zusammen vegane Mahlzeiten, wenn sie nicht gerade über E-Mobilität diskutieren. So stellt sich Ulf Poschardt die Hölle vor.

Aber die Youtuber lassen erst gar nicht den Verdacht aufkommen, sie wollten irgendwem Vorschriften machen. Immer wieder verweisen sie darauf, dass sie selbst "keine Klimagötter" seien, aber jeder individuell bei sich anfangen solle, wo es nicht wehtut, mit kleinen Schritten, und überhaupt, erst mal sei ja Aufklärung wichtig. Ist das die Generation, die angeblich mit Schaum vor dem Mund für das Klima kämpft? Am Freitagnachmittag platzt Alexander Herrmann der Kragen. "Wir brauchen keine Aufklärung mehr - entschuldigung!", ruft der TV-Koch, der gerade als Gast zugeschaltet ist. "Wir wissen doch alles!" Na, da sei sie sich aber nicht so sicher, widerspricht die "Fashion and Selfcare"-Influencerin Marie Johnson.

Ebenfalls in der Videokonferenz hängt Julia Klöckner. Warum für die Bundeslandwirtschaftsministerin kein einzelner Interview-Slot drin war, weiß Gott allein, aber das Prinzip von Youtopia ist der Überfluss: Ständig ziehen neue Internet-Celebritys mit Millionenreichweiten ein, ständig schalten sich analoge Berühmtheiten zu, die irritiert davon sind, wie wenig beeindruckt man von ihnen ist. Klöckner bleibt cool und sie spricht auch nicht, wie zuvor Gregor Gysi, von "Future for Friday". Aber auf die Frage, warum für Hafermilch 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig seien, auf die klimaschädlichere Kuhmilch hingegen nur sieben, sagt die Ministerin, das glaube sie nicht, sie lasse das aber kurz recherchieren. Einige Minuten später klinkt sie sich wieder ins Gespräch ein. Es stimmt doch.

Sollte man das nicht ändern? "Das ist ein interessanter Gedanke", sagt sie. "Ich nehme das gern mit." Die Youtuber sitzen verdattert auf ihrer Couch. "Oh, okay, cool", sagt die Selfcare-Expertin.

Samstag, Tag 4

Youtopia wird allmählich kräftezehrend. Nicht für die Bewohner. Die denken gar nicht daran, irgendwelche Skandale zu produzieren. Die Kuppel ist etwas beinahe Natürliches geworden, das meistens stumm geschaltet im Hintergrund abläuft. Wie der Klimawandel. Am Tisch wird mal wieder Gemüse geschnibbelt, um Leute zu inspirieren, doch mal ein veganes Gericht zu probieren. Nur mal ausprobieren! Schmeckt auch! Die Leute positiv ermutigen!

Ein zunehmender Widerwillen gegen das weichgespülte Individuelle-Konsumentscheidungen-Gelaber macht sich bemerkbar. Vielleicht ist das die subversive Geheimstrategie der Show: Man möchte raus aus der Tür rennen, Treibhausgase wegboxen, eine Klima-Radikalinski-Partei gründen. In den Klimastreik treten.

Sonntag, Tag 5

Aber das große Finale muss natürlich schon sein. Weil man wissen will, ob noch was geht zwischen Kayla und Jonas. Weil Simon - Mister Jugendwort - schon saulustig ist, wenn er sagt, jeder Bewohner habe vor Beginn des Projekts zwei negative Corona-Tests abgegeben, "es gibt keine Sickness in dieser Gruppe".

"Ihr seid wie die Kelly Family", hat Joey Kelly bewundernd festgestellt, der am Nachmittag für eine der Challenges da war. Vielleicht wird die Kellyfamilysierung die Welt retten, wenn alle Menschen Brüder und Schwestern werden und sich gegenseitig per Stream zuschalten, bis zur totalen Übertragung - bis jemand den Stecker zieht und man plötzlich die Vögel zwitschern hört. Mehr als 100 000 Bäume sind es am Ende geworden. Der Chat explodiert mit Emojis von Herzchen, Bäumen und Weltkugeln. Dann geht unter der Kuppel das Licht aus.

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