"Young Wallander" auf Netflix:Zurückgespult ins Heute

Lesezeit: 2 Min.

Adam Pålsson als junger Kurt Wallander. (Foto: Johan Paulin/Netflix)

Die Krimiserie soll die Vorgeschichte des traurigen schwedischen Kommissars erzählen. Wallander-Fans aber dürften enttäuscht sein.

Von Carolin Gasteiger

Kurt Wallanders Leben ist eigentlich vorbei. In seinem letzten Fall "Der Feind im Schatten" ließ ihn sein Schöpfer, der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell, an Alzheimer erkranken. Die letzte Krimiverfilmung lief 2015, die Buchvorlage war bereits 2009 erschienen. Aber nur, weil das Ende des eigenwilligen schwedischen Kommissars bekannt ist, bedeutet das nicht, dass seine Geschichte auserzählt ist. Vor allem nicht sein Anfang als Kommissar.

Nun lässt Netflix Kurt Wallander wiederaufleben, Mankell selbst hatte der Idee eines Prequels noch vor seinem Tod 2015 zugestimmt, wie der Guardian berichtet. Young Wallander erzählt vom Aufstieg eines jungen Polizisten bei der Kriminalpolizei und deutet schon an, was Krister Henriksson in der ARD-Reihe Mankells Wallander und Kenneth Branagh in mehreren BBC-Verfilmungen gezeigt haben. Wallander ist eine dieser eigenbrötlerischen, selbstzerstörerischen Ermittlerseelen, wie sie nur in der meist dunklen, einsamen skandinavischen Landschaft gedeihen können.

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Seine Augen sind nie ganz da, wenn er mit anderen spricht. Immer scheinen sie auszuweichen, seine Mimik beschränkt sich auf ein leichtes Zucken um die Mundwinkel. Selten lacht er. Wenn er jedoch einen Verdächtigen erkennt oder ein neues Detail entdeckt, dann wirkt Kurt Wallanders Blick plötzlich ganz klar. Und, auch das wird in der neuen Netflix-Serie deutlich, er wird so schnell keine Ruhe geben. An einer Stelle sagt Wallanders Vorgesetzter Hemberg: "Mach keine Pläne für die nächsten 30 Jahre. Es hat dich erwischt."

Adam Pålsson, der einzige Schwede im ansonsten britischen Cast, spielt den rund 20-Jährigen als Polizeibeamten mit Baby Face, der sich ambitioniert bis naiv durch seinen ersten Kriminalfall in Malmö - später handeln die Fälle im südschwedischen Ystad - hangelt. Auch wenn Pålsson fast ein bisschen zu glatt wirkt, zeigt er doch Wallander-typische Eigenbrötlerei: Er hat kaum Freunde oder Familie, verzichtet notorisch auf Schlaf und rastet unvorhergesehen aus. Außerdem greift er schnell mal zum Drink.

Die Serie spart die tieferen Gründe dafür aus, warum er ist, wie er ist

Und doch ist Young Wallander nur ein halbherziges Prequel, wenn überhaupt. Denn die Serie spielt nicht etwa Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre, als Wallander tatsächlich Anfang 20 war, sondern in der Neuzeit. Die Macher haben quasi ins Heute zurückgespult.

Im Malmöer Problemviertel Rosengård wird ein junger Fußballspieler in die Luft gesprengt. Natürlich reichen die Spuren weiter, sogar bis in die feine Gesellschaft der Stadt. Intrigen, Rassismus, Armut sind brisanter Krimiserien-Stoff, der in die Zeit passt. Allerdings hätte es dafür weit zeitgemäßere Figuren gegeben als diesen jungen, weißen Polizeibeamten. Und Wallanders Persönlichkeit wird zwar deutlich umrissen, aber die Serie spart die tieferen Gründe dafür aus, warum er ist, wie er ist.

Young Wallander ist der Versuch, eine bekannte Figur zu recyceln und zugleich aktuelle gesellschaftliche Debatten aufzugreifen. Das geht leider schief und dürfte vor allem Fans des schwedischen Kommissars enttäuschen. Immerhin wird klar, wie Wallander ein Faible für Maria Callas entwickelt.

Young Wallander, auf Netflix*

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