Yellow-Press-Watchblog "Topf voll Gold":Wühlen in der klebrigen Melange

"Topf voll Gold"

Logo des Watchblogs für die Yellowpress "Topf voll Gold"

(Foto: topfvollgold.de)

Warum recherchieren, wenn man auch Fakten erfinden kann? So ähnlich geht die Regenbogenpresse täglich zu Werke. Seit April versuchen zwei Journalistikstudenten in ihrem Blog "Topf voll Gold" die grausigsten Lügen zu entlarven. Das Ergebnis ist so amüsant wie schockierend.

Von Matthias Kohlmaier

Freizeit ist ein wunderbares Wort, das bei den meisten Menschen angenehme Assoziationen weckt: Ruhe, Entspannung, kein Stress. Nur sinnvoll also, ein Produkt mit diesen Attributen aufzuladen, um den Verkaufserfolg zu maximieren. Eine Zeitschrift über das Leben der Schönen, Reichen und/oder Adeligen könnte zum Beispiel Freizeit Exklusiv heißen. Oder Freizeit Direkt, Freizeit Revue, Freizeit Heute, Freizeit mit Herz.

Moment, all diese Zeitschriften gibt es bereits. (Und noch etwa 30 andere, die die Freizeit im Titel tragen, wie diese Auflistung zeigt.) Und sie bieten ihren Lesern alle das Gleiche: eine klebrige Melange aus schmalzigen und ein bisschen oder auch vollkommen erfundenen Artikeln über Prominente. Das sieht auch Mats Schönauer so: "Es geht nicht um die Geschichte, es geht um die Verpackung. Je reißerischer die Aufmachung, desto besser verkauft sich das Heft."

Schönauer kennt sich mit der Materie aus. Seit April wälzt er gemeinsam mit seinem Dortmunder Studienkollegen Moritz Tschermak Woche für Woche die erschreckende Vielfalt der deutschen Regenbogenpresse. Das Ergebnis: ihr Blog Topf voll Gold. Dort entlarven sie die grausigsten Lügen und verbogensten Wahrheiten, die die Magazine in Umlauf bringen.

Bloggen für die Bachelorarbeit

Aber warum kommen zwei Journalistikstudenten auf die Idee, in die unwirkliche Welt der Yellow Press abzutauchen? Des Studiums wegen, möchte man annehmen. Das ist jedoch nur zum Teil korrekt, sagt Schönauer: "Das Blog hätten wir auch ohne die Bachelorarbeit gemacht. Es lag uns schlicht am Herzen, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen." Nun bildet das Watchblog den Praxisteil der Abschlussarbeit, die am Ende hauptsächlich die Frage beantworten soll: Was können Blogs zur Medienkritik beitragen?

Die unwissenschaftliche Antwort nach der Lektüre von topfvollgold.de lautet: eine Menge. Schönauer und Tschermak prügeln nicht nur auf die seichte Berichterstattung der Regenbogenpresse ein. Sie recherchieren jeden Fakt nach, prüfen jede Quelle und gehen jeder noch so zweifelhaften Aussage nach. Ihr Untersuchungsobjekt macht ihnen die Arbeit nicht allzu schwer. "Da die Geschichten in der Regenbogenpresse so wenig Substanz haben, müssen wir meistens gar nicht mehr viel recherchieren", sagt Schönauer.

Schlimmer als die "Bild"-Zeitung

Wie man Fehler in der Berichterstattung aufspürt und in einem Blog zerpflückt, das hat Schönauer an einer prominenten Stelle der Medienkritik gelernt. Beim Bildblog schrieb und schreibt er nach wie vor vornehmlich gegen die Lügengebäude an, die Deutschlands Boulevardmedien zusammenbasteln. Aus der Beschäftigung mit der Yellow Press zieht er dennoch einen überraschenden Schluss: "Die Regenbogenpresse ist teilweise noch schlimmer als die Bild-Zeitung."

Hier ein Beispiel: Der mittlerweile verstorbene niederländische Prinz Friso war seit seinem schweren Skiunfall immer wieder Objekt der Berichterstattung der Promi- und Adelsblätter. Wenige Tage vor seinem Tod titelte Das neue Blatt neben einem Foto von Friso und Ehefrau Mabel sowie der abgedankten Königin Beatrix: "Schockierende neue Enthüllungen über das Unglück - Mabel und Beatrix - Wollte ihr Friso sich umbringen?" Im Artikel ist dann von "Enthüllungen" (eine gern verwendete Vokabel in derlei Zeitschriften) die Rede, die Suizid-Theorie belegt die Autorin mit Berichten niederländischer Medien.

Kai Pflaume backt gern Pfannkuchen

Als Tschermak und Schönauer nach der Originalquelle für die Behauptungen suchten, fanden sie: nichts. Und auf Anfrage bei Das neue Blatt hieß es, man wolle den Bloggern die Quelle nicht zur Verfügung stellen. "Ich vermute mal, dass es diese Originalquelle nie gegeben hat. Oder dass sie etwas völlig anderes ausgesagt hat, als die Redaktion daraus gemacht hat", sagt Schönauer. Anders gefragt: Warum recherchieren, wenn man auch Fakten erfinden kann?

Ähnliches präsentieren Schönauer und Tschermak auch in ihren "Verrenkungen der Woche", einem amüsanten - und schockierenden - Quiz zu Titelseiten und den zugrundeliegenden Fakten. Dort heißt es zum Beispiel: "Senta Berger - Kai Pflaume. Pikante Enthüllungen"; daneben ein neongelbes Rechteck mit der Aufschrift: "Ganz aktuell!" Wer unter dem Bildchen klickt, erfährt, was es mit der Schlagzeile auf sich hat. In diesem Fall lag Senta Berger vor 67 Jahren mit einem Leistenbruch im Krankenhaus und hatte Heimweh, Kai Pflaume backt gern Pfannkuchen.

Leuchtturmprojekte gegen den Schund

So funktioniert ein Großteil der Berichterstattung der Regenbogenpresse: Ein gänzlich unwichtiger Fakt wird so weit zugespitzt, dass er spannend erscheint, dazu das Wort "Enthüllung", fertig ist die Schlagzeile. Wahlweise besorgen sich die sogenannten Journalisten der Klatschblättchen auch ein Bild von einem Promi mit Bierglas in der Hand und dichten ihm oder ihr ein Alkoholproblem an. "Gezieltes Verbreiten von Schmutz-Artikeln", nennt Schönauer das.

Doch obschon dem halbwegs aufmerksamen Leser der Schmutz aus diesen Artikeln frontal ins Gesicht spritzt, haben Forschung wie Medienkritik die Regenbogenpresse bisher fast vollständig ignoriert. Stefan Niggemeiers die aktuelle-Bingo und die "Herzblattgeschichten" in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sind zwei Leuchtturmprojekte, die bei Weitem nicht das ganze Ausmaß darstellen können, das wöchentlich in etwa sechseinhalb bis sieben Millionen Exemplaren der Klatschblätter über die Kiosk-Theken Deutschlands geht.

Schönauer und Tschermak planen, diesen "Mist" (Schönauer) auch über ihre Bachelorarbeit hinaus via topfvollgold.de zu untersuchen. Bisher finanzieren sie ihren Blog noch selbst, aber auch das wird sich wohl bald ändern. "Auf lange Sicht denken wir darüber nach, das Projekt entweder über Werbung zu finanzieren oder die Leser zu fragen, ob sie uns nicht gelegentlich ein bisschen Geld spenden wollen", sagt Schönauer. Irgendwer muss schließlich auch die zehn bis 15 Heftchen bezahlen, die die beiden wöchentlich mindestens erwerben.

"Topf voll Gold"

"Liebe", "Hochzeit" und "Baby" werden immer gern genommen. Word-Cloud zu am häufigsten verwendeten Begriffen auf dem Titel von Regenbogen-Blättern.

(Foto: topfvollgold.de)

Dass sie dabei auch weiterhin häufig mit der "Freizeit" in allen Facetten befasst sind, ist gewiss. Am Montag schreibt Schönauer in einer E-Mail:

"Übrigens hat der Bauer-Verlag ein neues Heft herausgebracht: Freizeit & Rätsel. Titelgeschichte: "Wollte sich Friso umbringen?" (Ist eine gekürzte Version des "Neue Blatt"-Artikels.)"

Damit ist nicht nur der Beweis erbracht, dass noch ein paar Titel à la Freizeit plus X frei sind, sondern auch, dass Regenbogenjournalisten den erfundenen Schund gern recyclen. Hoffentlich halten Schönauer und Tschermak noch für eine Weile mit ihrem Blog dagegen.

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